LEICHTE SPRACHE

„EINE WOHNUNG IST DER BESTE SCHUTZ“

Auch in Schleswig-Holstein erleben wohnungslose Menschen Anfeindungen und Gewalt. Das Dunkelfeld ist groß, weil nur die wenigsten Vorfälle öffentlich bekannt werden.

Am 13. September 2000 wurde der Obdachlose Malte Lerch auf den Schleswiger Königswiesen von zwei Neonazis brutal erschlagen. Er hatte dort zuvor mit den beiden Skinheads gemeinsam gezecht. Nach negativen Bemerkungen über die Neonazi-Szene fühlten sich seine beiden Begleiter beleidigt. Sie schlugen Lerch und traten mit ihren Stahlkappenstiefeln auf ihn ein. Anschließend haben sie ihr Opfer schwer verletzt zurückgelassen. Erst am folgenden Tag wurde die Leiche des Wohnungslosen von Passanten gefunden. 


Einige Tage nach dem Mord versammelten sich über 300 Menschen in Schleswig, um gegen rechte Gewalt zu protestieren und an den Tod von Malte Lerch zu erinnern. Die beiden Täter wurden vom Flensburger Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu jeweils sieben Jahren Haft verurteilt. Dennoch ist über das Leben von Malte Lerch nur wenig bekannt. Die wenigen bekannten Informationen kreisen stets um die Stichworte „Obdachloser“, „Opfer“ und „Neonazis“. Ähnlich sieht es auch bei vielen anderen Wohnungslosen aus, die in den letzten Jahrzehnten mit einer politisch rechten Motivation umgebracht wurden. Von einigen kennt man noch nicht einmal den Namen. Sicher ist dagegen, dass allein seit 1990 mindestens 40 wohnungslose Menschen in Deutschland umgebracht wurden, weil sie nicht dem Weltbild der Angreifer entsprochen haben. 

Sozialdarwinistische Gewalt gegen wohnungslose Menschen ist schon seit längerem ein alltägliches Phänomen, wie Paul Neupert betont. Als Fachreferent von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. beschreibt er das Vorgehen der Täter als „oft spontan, überfallartig, enthemmt und sehr brutal“. Meistens richten sich die Angriffe gegen wehrlose Opfer, die beispielsweise im Schlaf überrascht werden. Trotzdem erstatten nur die wenigsten Betroffenen bei der Polizei Anzeige. Die Opfer sind nach der Tat weiterhin wohnungslos, weshalb sie nach einer Anzeige die Rache von den Tätern fürchten müssen. Es werden somit vor allem jene Gewalttaten öffentlich bekannt, bei denen couragierte Passanten oder die Polizei zufällig vor Ort gewesen sind. Dementsprechend groß ist das Dunkelfeld von rechten Angriffen gegen wohnungslose Menschen, belastbare Zahlen liegen selbst bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. nicht vor. Unter den Wohnungslosen gebe es jedoch kaum jemanden, der die Gefahr nicht wahrnehme, so Paul Neupert weiter. Aus seiner Perspektive ist „eine Wohnung der beste Schutz“, weshalb private Rückzugsräume nötig sind, in denen sich die wohnungslose Menschen sicher fühlen können. 

Die Notwendigkeit von sicheren Rückzugsräumen zeigt sich auch vor Ort in Kiel. „Bei uns ist die Lage gerade relativ ruhig, was richtige Gewalttaten gegen Wohnungslose angeht. Allerdings kommt es schon zu Belästigungen, wenn beispielweise nachts auf die Schlafsäcke gepinkelt wird oder das Eigentum von Wohnungslosen geklaut wird.“, so Michael Schmitz-Sierck, der als Teamleiter im Tagestreff und Kontaktladen der Stadtmission arbeitet. Dementsprechend werden entsprechende Übergriffe von den Gästen des Tagestreffs im Alltag immer wieder thematisiert. Möglichen Zeugen dieser Vorfälle empfiehlt Schmitz-Sierck, „sich einzumischen, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen“. 

Unterstützung finden wohnungslose Betroffene, Angehörige und Zeugen von rechten Gewalttaten in Schleswig-Holstein bei der Beratungsstelle zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe. Dort bekommen Opfer von sozialdarwinistischer Gewalt kostenlose Hilfe, ohne dass eine Anzeige bei der Polizei notwendig ist. Zu den Aufgaben von zebra gehört jedoch unter anderem, wohnungslose Gewaltopfer bei ihrem Kontakt mit der Polizei und Justiz zu begleiten und die Perspektive von Betroffenen nach einem Angriff medial bekannt zu machen.

https://www.hempels-sh.de/fileadmin/user_upload/magazin_pdf/2019/Hempels_274.pdf