Aktuelles

Zivilgesellschaft unter Druck!

Gemeinsame Pressemitteilung von LIDA-SH, RBT SH, ZEBRA

In ganz Schleswig-Holstein nimmt der Druck auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen weiter zu. So stellen sowohl die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe ZEBRA, die Dokumentationsstelle für Antisemitismus LIDA-SH, als auch die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus, einen alarmierenden Anstieg an extrem rechten Vorfällen und Beratungsanfragen von Engagierten und Betroffenen fest.

Bereits Mitte August erreichte die Beratungsstelle ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe die Anzahl der Beratungsfälle des gesamten Jahres 2023. Seit Jahresbeginn war ZEBRA in 86 Fällen tätig und hat 128 Betroffene (darunter 13 Kinder und Jugendliche) beraten, was einen deutlichen Anstieg an Betroffenen darstellt. Wie in den Vorjahren sind die meisten Taten Körperverletzungsdelikte, Rassismus bleibt das häufigste Tatmotiv. Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe sind Botschaftstaten, deren Wirkung über die direkt Betroffenen hinausreicht und für Besorgnis bei vielen weiteren Menschen der Betroffenengruppen sorgt. Die hohe Fallauslastung stellt auch für die Beratungsstelle eine enorme Herausforderung dar.

Felix Fischer, Berater bei ZEBRA, nimmt zudem eine erschreckende Entwicklung wahr: „In den letzten Monaten schildern uns Betroffene rechter Angriffe zunehmend eine Bezugnahme der Täter*innen auf die AfD. Im Zuge von rassistischen Angriffen fielen Aussagen wie ‚Wenn die AfD kommt, seid ihr weg‘ und auch die Enthüllungen der CORRECTIV-Recherche lösen bei vielen Betroffene Ängste und Wut aus.“

Wie sich das Erstarken der AfD auf rechte Angriffe in Schleswig-Holstein auswirkt, zeigt ein Fall aus dem Juni. Ein Flüchtlingsbeauftragter erhielt am Abend der Europawahl, bei der die AfD die zweitmeisten Stimmen erhalten hatte, zwei anonyme Drohanrufe. In diesen wurde er mit den Worten „Wir sind so stark geworden, dass wir solche Volksverräter wie dich jetzt kriegen werden“ und „Wir werden dich jetzt jagen gehen“ bedroht.

Der Betroffene schlug daraufhin ein Treffen vor, woraufhin die Stimme antwortete: „So ein Treffen möchtest Du nicht erleben”. Bereits zuvor hatte der Flüchtlingsbeauftragte auf Grund seiner Arbeit regelmäßig beleidigende Mails erhalten.

Die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein haben den AWO Landesverband und die Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e.V. (RBT SH) als Träger. Sie beraten und stärken Personen, Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen im Umgang mit Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die RBTs SH stellen im ersten Halbjahr 2024 eine Verdoppelung von Anfragen fest. Dabei fällt insbesondere auf, dass besonders die Fälle drastisch zugenommen haben, in denen es um geschlossene, rechtsextreme Weltbilder, z.B. im Kontext Schule, geht. Die Berater*innen der RBT SH konstatieren: „Die Zustimmung zur AfD und menschenverachtenden, antidemokratischen Positionen nimmt angesichts weitreichender Einbindung der Partei in rechtsextreme Strukturen weiter zu. Zivilgesellschaftlich engagierte Personen und von ihnen ausgehende Initiativen sind lokal einem zunehmend verunsichernden und bedrohlichen Klima ausgesetzt. Auch im Kontext Schule zeigt sich, dass klar rechtsextreme Äußerungen immer häufiger auftreten und mitunter unwidersprochen im Raum stehen“.

Auch die Dokumentationsstelle LIDA-SH muss zum Halbjahr einen absoluten Höchststand von Meldungen antisemitischer Vorfälle verzeichnen. Im ersten Halbjahr gingen bei LIDA-SH durchschnittlich drei Mal so viele Vorfälle ein, wie im Vorjahreszeitraum. Dazu erklärt Joshua Vogel, Leiter von LIDA-SH: „Die Reaktionen auf den Terror islamistischer Gruppen wie der Hamas seit dem 07.10.2023 und den sich anschließenden Krieg bestimmen weiterhin das von uns beobachtete Vorfallsgeschehen. Wir haben es hier mit globalen Kampagnen in den sozialen Medien zu tun, die verstärkt von Protestgeschehen vor Ort Möglichkeitsräume für antisemitische Artikulationen, insbesondere Hass auf Israel als jüdischen Staat schaffen.“ Vor allem für die jüdischen Communities bedeute dies ein zunehmendes Unsicherheitsgefühl. In diversen Vernetzungen zeigt sich, dass der Ukraine-Krieg die jüdischen Communities enorm beschäftigt. Viele Jüdinnen und Juden haben familiäre Beziehungen in die Ukraine. Seit Oktober bangen viele zudem um Angehörige in Israel. Doch nicht nur die Sorge um die Verwandten in den Kriegsgebieten belasten viele Jüdinnen und Juden.

„Das Wissen, dass es in dieser Gesellschaft einen nicht irrelevanten Teil an Menschen gibt, die den Terror der Hamas verherrlichen oder bzw. und die Deportationspläne der AfD begrüßen, sorgt für eine Art Grundangst, die die Bereitschaft vieler Mitglieder der Gemeinden als Jüdinnen und Juden am öffentlichen Leben teilzuhaben quasi auf null reduziert.“

Mit einer Entspannung der Situation ist in allen Beratungs- und Dokumentationsstellen in den nächsten Monaten nicht zu rechnen. Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und den zu befürchtenden hohen Ergebnissen der AfD ist damit zu rechnen, dass sich Rechte auch in Schleswig-Holstein weiter bestärkt fühlen, ihre menschenverachtende Ideologie weiter zu verbreiten und gewaltsam durchzusetzen.

Für Rückfragen zu dieser Pressemitteilung wenden Sie sich bitte an Felix Fischer (0176/70938206, fischer@zebraev.de) oder Lasse von Bargen (0431/26068-73, vonbargen@akjs-sh.de).

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA, sowie des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

LIDA-SH wird im Rahmen des Landesprogramms zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung gefördert. Das Programm wird über das Landesdemokratiezentrum und den Landespräventionsrat koordiniert und umgesetzt.

ZEBRA und die RBT SH werden von dem Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ und dem Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung über das Landesdemokratiezentrum beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein gefördert.

Erweiterte Qualitätsstandards für professionelle Beratung

Gemeinsam mit anderen Mitgliedern des VBRG hat ZEBRA die Qualitätsstandards für die Beratung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt überarbeitet.

Die erste Fassung liegt mittlerweile 10 Jahre zurück. In diesen 10 Jahren konnten die Beratungsstellen weitere Erfahrungen sammeln und die Arbeitsgrundlage professionalisieren und entsprechend anpassen. „Seit der Veröffentlichung der ersten Ausgabe haben die Beratungsstellen in Ost- und Westdeutschland Tausende Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie Angehörige, Freund*innen der Betroffenen und Zeug*innen solidarisch und professionell begleitet und unterstützt.“ (VBRG 2024: 3)

Insbesondere Schlüsselprozesse in der alltäglichen Arbeit wurden in diesem Zuge kontinuierlich erweitert: „Dieses Instrumentarium eignet sich, um die Auswirkungen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt auf ihren unterschiedlichen Ebenen jeweils sinnvoll zu adressieren.“ (VBRG 2024: 16) Der Kernarbeitsbereich der Beratung wurde um die Onlineberatung ergänzt – mit dem Ziel den individuellen Bedarfen der Betroffenen möglichst niedrigschwellig zu begegnen. Auch die Standards für spezielle Beratungskontexte, wie z.B. die Beratung nach Tötungsdelikten und rechtsterroristischen Attentaten und Anschlägen, wurden weiter ausgeführt.

Für die Beratungsnehmenden dienen diese Standards auch dazu, dass sie die Arbeit der Beratungsstellen nachvollziehen können. Dies schafft Sicherheit auf beiden Seiten: Die Berater*innen haben Richtlinien, die sie nach außen hin vertreten und den Betroffenen ist klar, was sie bei einer Beratung einfordern und erwarten können. „Dabei sind die beschriebenen Standards als handlungsleitend zu verstehen: Alle Beratungsstellen sind verpflichtet, sich für eine Umsetzung dieser Qualitätsstandards einzusetzen. Eine adäquate, kontinuierliche Finanzierung statt der andauernden projekthaften Förderung ist im Einklang mit der EU-Opferschutzrichtlinie die notwendige Voraussetzung für die Arbeit der Opferberatungsstellen. Dazu gehört, dass die staatlichen Geldgeber in Anbetracht der anhaltenden Zuspitzung von rechten, rassistischen und antisemitischen Diskursen und Realitäten entsprechende finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen, sodass allen fachspezifischen Gewaltopferberatungsstellen die Umsetzung der Qualitätsstandards – auch unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Evaluation des Deutschen Jugendinstituts – langfristig möglich ist.“ (VBRG 2024: 4).

Die Qualitätsstandards sind sowohl auf der Seite des VBRG (https://verband-brg.de/) als auch unter Materialien auf dieser Website zu finden.

Monitoring 2023: Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Schleswig-Holstein weiter gestiegen

Beratungsstelle ZEBRA stellt Ergebnisse des landesweiten Monitorings für 2023 vor

Massive Folgen für Betroffene – Regionaler Schwerpunkt im Kreis Pinneberg – Rassistische Gewalt in SH auf Höchststand

In dem seit 2017 jährlich durchgeführten Monitoring registriert die Beratungsstelle ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe erneut eine gestiegene Anzahl rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten in Schleswig-Holstein. Mehr als jeden dritten Tag wurden Menschen im vergangenen Jahr aus rassistischen, antisemitischen oder rechten Motiven angegriffen. ZEBRA erfasste 2023 in ihrem unabhängigen Monitoring 136 Vorfälle mit 187 Betroffenen. Im Vorjahr waren 104 Vorfälle registriert worden. Weiterhin sind unter den Betroffenen auch viele Kinder und Jugendliche (2023: 39; 2022: 22).

Menschen, die aus rassistischen Motiven angegriffen wurden, bildeten auch 2023 die mit Abstand größte Betroffenengruppe. Im Vergleich zu den Vorjahren war hier ein merklicher Anstieg zu verzeichnen. Während Gewalttaten auf politische Gegner*innen zurückgingen, nahmen zudem die Gewalttaten aus antisemitischen Motiven und gegen LGBTQIA+ leicht zu.
Der Landtagsabgeordnete Niclas Dürbrook (SPD) sagte dazu: Die Zahlen des ZEBRA-Monitorings sind ebenso erschreckend wie wichtig. Rechte Gewalt darf in Schleswig-Holstein nicht zum Alltag gehören, sie tut es aber derzeit. Gerade auch in haushaltspolitisch schwierigen Zeiten muss das Ziel klar sein: Wir müssen Betroffene unterstützten und das Dunkelfeld.

Massive Folgen für Betroffene

Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe sind weiterhin von einer hohen körperlichen Gewalt geprägt. Zwar hat sich vor allem die Zahl der Nötigungen und Bedrohungen zwischen 2022 und 2023 mehr als verdoppelt, jedoch auch die Zahl der Körperverletzungsdelikte stieg an. Eine Erklärung für die gestiegene Anzahl an Bedrohungen könnte in der Gesetzesverschärfung des § 241 StGB im April 2021 liegen, deren Effekt zeitverzögert eintrat. Die nun gestiegene Anzahl umfasst in vielen Fällen Bedrohungen, die vor der Gesetzesänderung noch nicht den Straftatbestand erfüllten.

Aber auch vermeintlich harmlosere Bedrohungen können massive Folgen für die Betroffenen haben. Dies zeigt ein Beispiel aus dem vergangenen Jahr. Eine Familie wurde im Zug auf der Suche nach einem Sitzplatz von einem weiteren Fahrgast angegangen. Neben rassistischen Beleidigungen baute sich der Angreifer bedrohlich vor dem Vater auf, der sich schützend vor seine Kinder gestellt hatte, und spuckte diesem ins Gesicht. Die Familie musste das Abteil verlassen, um sich einer möglichen körperlichen Auseinandersetzung zu entziehen. Seit dem Angriff leidet die Betroffene, eine zweifache Mutter mit Fluchthintergrund, unter starken Angstzuständen, die sie in der Bewältigung ihres Alltags merklich beeinträchtigen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel löst bei ihr zum Beispiel akute Atembeschwerden aus, weshalb sie diese Situationen vermeidet. Ihre Angst in engen Räumen mit vielen Menschen habe dazu geführt, dass sie ihren Deutschkurs abbrechen musste. Hinzu kommen weitere körperliche Beeinträchtigungen, die einen psychosomatischen Hintergrund zu haben scheinen. Felix Fischer, Berater bei ZEBRA, erklärt dazu: „Einerseits sind immer noch mehr als die Hälfte der von uns registrierten Vorfälle Körperverletzungsdelikte, andererseits dürfen auch die Folgen rassistischer, antisemitischer und anderer rechter Bedrohungen nicht unterschätzt werden. Die Betroffenen sind häufig massiv und langfristig in ihrem Sicherheitsempfinden eingeschränkt. Zudem richten sich rechte Angriffe auch an die Communities der Betroffenen, denen damit signalisiert werden soll, dass es auch sie treffen könnte.“

Regionaler Schwerpunkt im Kreis Pinneberg

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt zeigt sich darüber hinaus nach wie vor als Problem, das in allen Teilen des Bundeslandes auftritt. 2023 gab es keinen Kreis ohne rechte Gewalttat. Die meisten Angriffe registrierte ZEBRA dabei in den Städten Kiel, Flensburg und Lübeck sowie im Kreis Pinneberg. Auffällig ist dabei besonders die Entwicklung im Kreis Pinneberg. Dort stiegen die Angriffe in den letzten Jahren kontinuierlich an (2021: 5; 2022: 14; 2023: 22). Während sich die Angriffe 2022 noch über den gesamten Landkreis verteilten, ist im vergangenen Jahr ein klarer Schwerpunkt zu beobachten. Die Hälfte der Vorfälle fand in Elmshorn oder direkt angrenzenden Orten statt. Diese Häufung deutet darauf hin, dass regionale Spezifika die Handlungsräume extrem rechter Akteur*innen erweitern und es somit zu einem Anstieg von Gewalttaten kommt. Ähnliche Entwicklungen konnte ZEBRA bereits 2019 im Kreis Segeberg und 2022 in Flensburg beobachten.

Rassistische Gewalt in SH auf Höchststand

Landesweit sind mittlerweile über 2/3 der Angriffe im Monitoring von ZEBRA rassistisch motiviert. Von den 95 rassistischen Vorfällen waren 129 Personen, darunter 33 Kinder und Jugendliche betroffen. Betroffene von rassistischen Angriffen berichten ZEBRA wiederholt, dass sie bereits zuvor im Alltag immer wieder rassistische Diskriminierung erfahren haben. Dies führt zu einem Gefühl von Ausgrenzung und fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz, was durch die Angriffserfahrung weiter verstärkt wird. Zudem können die konkreten Angriffsfolgen, wie ein eingeschränktes Sicherheitsgefühl, schwer wiegender sein, da vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen von weiteren Angriffen ausgegangen wird.

Zusätzlich wird die Verarbeitung der Angriffsfolgen für marginalisierte Personen durch strukturelle Hürden zu Unterstützungsmöglichkeiten erschwert. Hier fehlt es beispielsweise an niedrigschwelliger Sprachmittlung bei Ärzt*innenbesuchen und Rechtsanwält*innen, Zugang zu Therapieangeboten oder ausreichend qualifiziertes Personal für die Unterstützung bei anderen lebensweltlichen Problemen. Die dadurch zeitverzögerte Verarbeitung der Angriffsfolgen hemmt die Möglichkeit sozialer Teilhabe, was wiederum die Bewältigung des Erlebten erschwert. Ein Teufelskreis, der die Betroffenen langfristig begleitet.

MdL Jan Kürschner (Bündnis 90/ Die Grünen) erklärte: Viele Schleswig-Holsteiner*innen erleben in ihrem Alltag Rassismus und Antisemitismus. Die Ergebnisse des Monitorings für 2023 sind erschütternd. Besonders der starke Anstieg an antisemitischen und rassistischen Gewalttaten und die zunehmende Gewalt gegen queere Personen sollten uns zu denken geben. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass wir unseren Fokus weiterhin auf Präventionsmaßnahmen setzen müssen, aber gleichzeitig niedrigschwellige Hilfsangebote für Betroffene ausbauen müssen. Gemeinsam müssen wir Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft bekämpfen, das ist unsere demokratische Pflicht!

Das Monitoring für Schleswig-Holstein basiert auf den Kriterien des VBRG – Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Demnach liegen den Zahlen direkte Kontakte mit den Betroffenen oder aber externe vertrauenswürdige Quellen zugrunde. Trotz dieser Vorgehensweise ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, weshalb es weiterer Anstrengungen bedarf, dieses bestmöglich zu erhellen und Betroffene zu unterstützen.

Seit Beginn des Jahres 2017 wird von ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe ein systematisches und unabhängiges Monitoring durchgeführt.

Die daraus resultierende Statistik beinhaltet Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Bedrohungen, sowie massive Sachbeschädigungen, denen eine politisch rechte, rassistische oder antisemitische Motivation zugrunde liegt.

Die Statistik von ZEBRA wird mit den Daten des Landeskriminalamtes abgeglichen. Erfahrungsgemäß könnte es in den kommenden Monaten noch zu Nachmeldungen von Taten kommen, die im Jahr 2023 begangen wurde.

Bei Rückfragen zu dieser Presseerklärung wenden Sie sich bitte an Felix Fischer: 0176/55941481 oder fischer@zebraev.de.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor*in bzw. tragen die Autor*innen die Verantwortung.

Urteilsverkündung zur rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg

Nach über drei Jahren kam es heute zur Urteilsverkündung im Fall der rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg. Am 17. Oktober 2020 fuhr ein 19-Jähriger, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in der AfD war, am Rande einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit einem Pick-Up in Antifaschist*innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Von einer Parkbucht aus steuerte Melvin S. das schwere Gefährt auf den Bürgersteig und fuhr gezielt in die Demonstrierenden. Der Angriff wurde von der Polizei in einer ersten Pressemitteilung noch als Verkehrsunfall verharmlost. Nachdem sich Betroffene öffentlich zu Wort gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Seit Juli wurde der Fall vor dem Landgericht Kiel wegen versuchtem Totschlag verhandelt.

Heute wurde der Angeklagte Melvin S. wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Zudem muss er Schmerzensgeld an alle Betroffenen zahlen.

In der Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass die Tat „kein rechter Angriff aus Hass oder Wut auf den politischen Gegner“ gewesen sei, sondern der Tatentschluss aus einer Notwehrhandlung heraus entstanden sei, da ein Begleiter des Täters von einer unbekannten Person geschlagen worden sei. Die Fahrt mit dem Auto auf dem Bürgersteig sei dafür allerdings das falsche Mittel gewesen. Dabei habe S. zunächst zwei Betroffene mit dem Auto getroffen, sei dann ohne zu bremsen weitergefahren und hätte dann eine weitere Betroffene getroffen. Ein vierter Betroffener habe sich nur durch einen Sprung retten können.

Spätestens, als der Täter nach dem ersten Aufprall ohne zu bremsen weiter auf dem Bürgersteig fuhr, in Kombination mit den vorherigen Aussagen des Täters über seinen Hass auf Linke, ergibt sich ein Gesamtbild, dass die Kammer meiner Meinung nach unzureichend bewertet hat“, erklärte Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage, in Bezug auf den Tatvorwurf und die mögliche Tatmotivation. Dass die besondere Brutalität nicht in die Bewertung der Tat als rechter Angriff einfloss, ist aus Sicht von ZEBRA ebenfalls zu kritisieren.

Das Gericht hat zwar u.a. anhand der AfD-Mitgliedschaft des Täters ein zum Tatzeitpunkt rechtes Weltbild festgestellt, ein mögliches rechtes Tatmotiv, das sich strafverschärfend ausgewirkt hätte, sah das Gericht nicht als vollends bewiesen an. Dabei hatte sich der Täter neben seiner Parteimitgliedschaft bereits vor der Tat in einem Chat über seinen Hass gegen Linke ausgelassen.

Zudem führten Melvin S. und seine Begleiter Aufkleber mit rechten Inhalten und eine Flasche sogenannter „Reichsbrause“ mit sich, die im Onlineshop des bundesweit bekannten Neonazis Tommy Frenck zu erwerben ist, und lies sich am Rande der antifaschistischen Kundgebung damit fotografieren. Auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Uniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege für die extrem rechte Ideologie des Täters zeigen sich die Schwierigkeiten in der Anwendung des §46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Was muss noch erwiesen sein, damit sich die politische Dimension mit §46 auch im Kontext Strafzumessung ausdrücken kann?“, kritisiert Felix Fischer, Berater bei ZEBRA.

Auf die vom Täter und seinen Begleitern behauptete Notwehrsituation ging das Gericht insoweit ein, dass es eine Situation gegeben habe, die den Täter veranlasst habe mit dem Auto loszufahren. Zu dieser Strategie hatte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen in der Nebenklage vertrat, schon in seinem Plädoyer gesagt: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen.“ Ein Phänomen, dass bei rechten Angriffen immer wieder zu beobachten ist. Unter dem Vorwand einer stetigen, vermeintlichen Bedrohung von Antifaschist*innen oder einer imaginierten „Überfremdung“ sind Rechte dauerhaft in einer Situation, in der sie ihre Gewaltanwendung als vermeintliche Notwehrhandlungen begründen. Die „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind sei auch ein Beleg für einen Tötungsvorsatz beim Angeklagten, erklärte auch Rechtsanwalt Björn Elberling bereits in seinem Plädoyer: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.

Mit dem heutigen Urteil ist zwar die juristische Aufarbeitung der Autoattacke möglicherweise vorerst beendet, die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen wirken aber weiter. „Der Angriff mit dem Pick-Up kam aus dem Nichts. Er riss mich hinein in ein schmerzdominiertes Leben, von denen der Schmerz mittlerweile meinen Tagesablauf bestimmt und nicht mehr das Schöne“, erklärte einer der Betroffenen. Der rechte Angriff von Henstedt-Ulzburg, der durchaus hätte tödlich enden können, stellte für die Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr Leben dar. Teilweise bestehen bis heute Einschränkungen im alltäglichen Leben und noch ist unklar, ob die vorhandenen psychischen, physischen und materiellen Folgen entschädigt werden. Der Kampf der Betroffenen um Gerechtigkeit und Bewältigung ist daher noch lange nicht vorbei. „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess endet heute, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen“ eine Betroffene dazu.

Der Angriff von Henstedt-Ulzburg hat gezeigt, dass die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur*innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist*innen und von Rassismus betroffene Personen nicht ohne Wirkung bleibt und sich potentielle Täter*innen zu Angriffen berufen fühlen, die tödlich enden können. Die AfD versucht ihre eigene Rolle in der Autoattacke bis heute kleinzureden. Doch nicht nur war der Täter zum Tatzeitpunkt Mitglied der Partei, kurz nach der Tat traf er sich mit dem damaligen Kreisparteivorsitzenden Julian Flak, der ihm einen Austritt aus der AfD nahelegte, um Schaden von der Partei abzuwenden. Gleichzeitig versuchte Flak sich in Täter-Opfer-Umkehr und verteilte kurz nach der Tat in Henstedt-Ulzburg Flyer, die ein Verbot „der Antifa“ forderten. Vor dem Hintergrund, dass sich die „Junge Alternative“ in Schleswig-Holstein in letzter Zeit damit brüstet Kampfsporttrainings mit offen faschistischen Gruppen durchzuführen, bleibt die Gefahr von weiteren Angriffen auf alle Menschen, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, bestehen.

Damit Betroffene solcher Angriffe mit den Folgen nicht alleine bleiben, braucht es solidarische Unterstützung, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit des Bündnisses „Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den kompletten Prozess begleitet, mit unzähligen Kundgebungen auf die politische Dimension der Tat hingewiesen hat und den Betroffenen Raum bot ihre Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Felix Fischer erklärte dazu: „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen. Wir danken allen Unterstützer*innen und den engagierten Nebenklagevertreter*innen für ihren Einsatz.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

ZEBRA e.V. gewinnt Schleswig-Holsteinischen Demokratiepreis

Am Dienstag, 07.11.2023, wurde der Trägerverein ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe e.V. im Rahmen einer Preisverleihung in Büdelsdorf mit dem Demokratiepreis des Schleswig-Holsteinischen Landtags und der Sparkassen in Schleswig-Holstein geehrt. Mit dem Preis werden seit 2018 jährlich Personen, Verbände oder Institutionen gewürdigt, die sich in außergewöhnlicher Weise um die freiheitlich-demokratische Ordnung oder das demokratische Gemeinwohl verdient gemacht haben.

Der Verein ZEBRA e.V. trägt mittlerweile drei Projekte im Bereich der Beratung, Unterstützung und Dokumentation von rassistischen, antisemitischen, sowie politisch rechts motivierten Vorfällen und Gewalttaten. Die jeweiligen Fördermittelgeber werden am Ende der Pressemitteilung aufgeführt.

„Wir sind sehr dankbar für die Anerkennung und Würdigung unserer Arbeit und die damit verbundene Sichtbarmachung der Betroffenen von rechten, rassistischen Angriffen und antisemitischen Bedrohungen“, sagte Vereinsvorstand Prof. Dr. Melanie Groß auf der Preisverleihung. Gerade vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Rechtsrucks und alltäglichen rechten, rassistischen und antisemitischen Vorfällen sei dieser Preis für ZEBRA ein wichtiges Zeichen, das die langjährige Unterstützung von Betroffenen würdige.

Die Beratungsstelle ZEBRA berät seit 2015 aufsuchend und landesweit Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe und unterstützt diese in der Verarbeitung der Angriffsfolgen.

Darüber hinaus hat ZEBRA gemeinsam mit dem Bundesverband der Betroffenenberatungsstellen VBRG ein Monitoring entwickelt, mit dem jährlich über das Ausmaß rechter Angriffe in Schleswig-Holstein berichtet wird.

Die landesweite Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus Schleswig-Holstein (LIDA) dokumentiert seit September 2018 antisemitische Vorfälle. Das jüngste Projekt des Vereins LIBA ergänzt das bisherige Angebot nun seit Anfang 2023 mit einer Beratungsstelle für Ratsuchende nach antisemitischen Vorfälle unterhalb der Angriffsschwelle. „Mit der Weiterentwicklung von ZEBRA e.V. und der Differenzierung der Angebote reagieren wir auf den Bedarf der Betroffenen und die aktuelle gesellschaftliche Realität“, so Joshua Vogel, Projektleiter von LIDA und LIBA.

„Gestartet als ehrenamtliche Initiative von Studierenden und Absolvent*innen der Fachhochschule Kiel sowie weiteren Mitstreiter*innen haben wir auch als professionelle Institution Sozialer Arbeit immer den Geist des gemeinsamen Engagements für eine offene, demokratische Gesellschaft beibehalten“, ergänzt Melanie Groß. Für alle Projekte ist die Preisverleihung eine Bestätigung, dass die oft herausfordernde Arbeit in einem komplexen Themenfeld auch in der Öffentlichkeit als das anerkannt wird, was es im Kern ist: Eine wichtige Tätigkeit für die elementaren Werte einer Demokratie.

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA, sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

ZEBRA wird von dem Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ und dem Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung über das Landesdemokratiezentrum beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein gefördert.

Prozessauftakt zur Autoattacke von Henstedt-Ulzburg am 03.07.2023

Am 17. Oktober 2020 fand im Bürgerhaus Henstedt-Ulzburg eine Veranstaltung der Alternativen für Deutschland (AfD) statt. Am Rand der Veranstaltung fuhr ein junger Mann mit einem Pick-Up in gegen die AfD protestierende Antifaschist_innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Heute, fast drei Jahre nach dem rechten und rassistischen Angriff, beginnt nun der Prozess vor dem Landgericht Kiel u. a. wegen versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr.

Dass es überhaupt zu diesem Gerichtsverfahren kommt, liegt vor allem an antifaschistischer und journalistischer Recherche. Die Polizei schilderte den Vorfall in ihrer ersten Meldung als Auseinandersetzung zwischen rechten und linken und sprach von einem Verkehrsunfall. „Demonstranten der rechten und linken Szene gerieten außerhalb des Veranstaltungsgeländes aneinander. Dabei wurde im Rahmen eines Verkehrsunfalls eine Person der linken Szene schwer verletzt und in ein Krankenhaus eingeliefert.“

Erst die Schilderung von Betroffenen gegenüber der Presse, zeigten auf, was tatsächlich geschehen war: „Und der Fahrer gab Vollgas und raste auf uns zu.“ 

Der Angriff steht exemplarisch für die Relevanz der Betroffenenperspektive in der Einschätzung zu rechten Gewalttaten. Felix Fischer, Berater bei ZEBRA, erklärt dazu: „Nach rechten Angriffen wird häufig mit diversen Akteur_innen gesprochen, die alle ihre Sicht auf das Geschehene wiedergeben – fast immer ohne mit den Betroffenen gesprochen zu haben. Dabei können diese durch ihren persönlichen Erfahrungshintergrund meist sehr gut einschätzen wie die Tat zu bewerten ist.“

Rechte Angriffe finden nicht im luftleeren Raum statt. Die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur_innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist_innen sorgen für eine Stimmung, in der sich ihre Anhänger_innen und Mitglieder dazu berufen fühlen zur Tat zu schreiten. Dies zeigte jüngst auch der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) in einer Analyse zur zunehmenden Gewaltbereitschaft von Funktionär_innen der AfD. 

Rechte Gewalt wirkt als Mittel zur Einschüchterung und Durchsetzung der eigenen Ideologie. Allein in Schleswig-Holstein wurden im Jahr 2022 mindestens 32 Angriffe auf politische Gegner_innen von ZEBRA erfasst und bundesweit machten in den letzten Jahren Fälle wie der Überfall auf zwei Journalisten in Fretterode deutlich mit welcher Brutalität Akteur_innen der extremen Rechten bereit sind ihre menschenverachtende Ideologie gegenüber politischen Gegner_innen durchzusetzen.

Auch vor Gericht stehen Angeklagte im Sinne der juristischen Aufarbeitung im Mittelpunkt. Doch auch hier sollten die Betroffenen nicht alleine gelassen werden.

Rechte Angriffe können einen schweren Einschnitt in das Leben der Betroffenen darstellen. Vereinzelung, Rückzug, Angst, Aufgabe der politischen Aktivität sowie langfristige körperliche und psychische Einschränkungen können die Folge sein. Folgen, die sich nicht nur auf die direkt Betroffenen auswirken können, sondern auch auf ihr familiäres, soziales und politisches Umfeld. Daher braucht es Solidarität mit Betroffenen, die ausdrückt, dass diese nicht alleine mit dem Erlebten sind.

Das Bündnis „Tatort Henstedt-Ulzburg“ zu einer solidarischen Prozessbegleitung auf.

Prozesstermine:
Landgericht Kiel, Schützenwall 31-35, 24114 Kiel

Montag03.07.202309.00 Uhr
Freitag07.07.202308.30 Uhr
Freitag14.07.202309.00 Uhr
Mittwoch02.08.202309.00 Uhr
Donnerstag10.08.202313.30 Uhr
Freitag11.08.202309.00 Uhr
Montag14.08.202309.00 Uhr
Mittwoch23.08.202309.00 Uhr
Freitag25.08.202309.00 Uhr
Montag28.08.202309.00 Uhr
Montag25.09.202309.00 Uhr
Mittwoch27.09.202309.00 Uhr
Donnerstag05.10.202309.00 Uhr
Montag09.10.202309.00 Uhr
Donnerstag12.10.202309.00 Uhr

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

Rechte Gewalt braucht keine Nazis

Auch in Schleswig-Holstein sind rassistische und antisemitische Übergriffe ein Alltagsphänomen.

(…) Der Schein trügt. »Es muss niemand organisierter Neonazi sein, um eine Tat zu begehen«, macht Felix Fischer vom Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) in Schleswig-Holstein gegenüber nd.derTag klar. Der Verein betreut und berät Opfer rassistischer, antisemitischer und anderer rechtsmotivierter Taten, leistet Bildungsarbeit und erstellt seit 2018 ein jährliches Monitoring zu rechten Gewalttaten im nordwestlichsten Bundesland. Die jüngste Statistik liegt für 2021 vor. Im Vorjahr registrierte Zebra 77 rechte Gewalttaten mit insgesamt 148 betroffenen Menschen, darunter 31 Kinder und Jugendliche. »Es reichen auch einzelne Aspekte einer menschenverachtenden Ideologie wie Rassismus oder Antisemitismus, damit sich Menschen berufen fühlen, andere anzugreifen«, so Fischer, der seit zwei Jahren als Berater für Zebra arbeitet. (…)

Fischer erklärt, dass Zebra bei seiner Erfassung rechter Gewalttaten Kontinuitäten feststelle. »Weit über 50 Prozent der Angriffe, die wir im Monitoring aufnehmen, sind rassistisch motiviert. Die zweite große Gruppe an Betroffenen sind politische Gegner*innen, seien es Antifas oder Lokalpolitiker*innen.« Ein besonders schwerer Fall, auf dem Zebra seinerzeit besonders hinwies, ereignete sich im Oktober 2020. Am Rande einer AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg fuhr Melvin S. mit seinem Pick-up in eine Gruppe Gegendemonstrant*innen, vier Personen wurden verletzt. Zwar erhob die Staatsanwaltschaft Kiel mehr als ein Jahr später Anklage wegen versuchten Totschlags, doch bis heute steht der Prozessbeginn aus. Zum zweiten Jahrestag vor wenigen Wochen sprach Martina Renner, Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag, von einem »Akt rechten Terrors«, der sich in Henstedt-Ulzburg ereignet habe. (…)

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168729.schleswig-holstein-rechte-gewalt-braucht-keine-nazis.html/

„Das Demokratiefördergesetz muss echte Perspektiven bieten“ – Zivilgesellschaft stellt eigenen Gesetzentwurf vor

Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD)

Berlin, 27. September 2022

Anfang 2023 soll das Demokratiefördergesetz in Kraft treten. Eigentlich sollte es Demokratieprojekte langfristig absichern. Doch was aus der Politik zu hören und den Eckpunkten zu entnehmen ist, ernüchtert:

Geplant ist ein abstraktes Gesetz, das für die Projekte wenig ändern würde. Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung“ (BAGD), ein Zusammenschluss von über 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen, legt deshalb einen eigenen Gesetzentwurf vor. Er zeigt, was im Demokratiefördergesetz geregelt sein muss, um Projekten gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus die angekündigte Planungssicherheit zu geben – und damit eine Handlungsempfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen, die bereits 2017 im Bundestag fraktionsübergreifend beschlossen wurde.

Der 10-seitige Entwurf sieht unter anderem vor:

  • Das Gesetz benennt konkrete Demokratiegefährdungen und macht klar, aus welchen Richtungen die Demokratie angegriffen wird.
  • Das Gesetz benennt eindeutige Fördergegenstände. Dazu gehören die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, die Ausstiegsberatung und ihre jeweiligen Dachverbände sowie die Kompetenznetzwerke, die bundesweit verschiedene Formen von Demokratiefeindlichkeit bearbeiten.
  • Das Gesetz regelt verbindlich, dass die Zivilgesellschaft an der Erstellung und Umsetzung der Förderrichtlinien beteiligt wird. Denn die Richtlinien werden ausschlaggebend dafür sein, unter welchen Bedingungen die Fördergelder bei welchen Trägern landen.
  • Für die Umsetzung des Demokratiefördergesetzes wird eine jährliche Summe von 500 Millionen Euro vorgesehen.

Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Bundesverbands Mobile Beratung (BMB):
„Desinformationen, Verschwörungserzählungen und Angriffe auf Kommunalpolitik – in den letzten zwei Jahren ist noch einmal sehr deutlich geworden, dass die Demokratie und die Menschen, die sich für sie einsetzen, in Gefahr sind. Das Demokratiefördergesetz muss daher halten, was es verspricht, und Projekten gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus echte Perspektiven bieten. Unser Gesetzentwurf liefert dafür konkrete Vorschläge. Wir sind uns einig, dass ein gutes Gesetz nur unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft entstehen kann. Auch die Förderrichtlinien müssen in Zukunft unter Beteiligung der geförderten Träger erarbeitet, evaluiert und weiterentwickelt werden. Dafür gibt es gute Beispiele, etwa im Bereich des Kinder- und Jugendplans des Bundes. Für die Politik heißt das: Gestaltungsmacht teilen, um Kompetenz zu gewinnen.“

Robert Kusche, Vorstand im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.):
„Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und rechtsterroristischen Attentaten benötigen langfristige, solidarische und professionelle Beratungsstrukturen. Dies ist nur mit einer gesetzlichen Grundlage möglich. Daher haben wir uns im Rahmen der BAGD – ein Zusammenschluss bundesweiter zivilgesellschaftlicher Träger – daran beteiligt, einen zivilgesellschaftlichen Gesetzesentwurf in die Debatte einzubringen. Wir fordern ein modernes und inklusives Demokratieverständnis, einen gesetzlich verankerten Mechanismus zur Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Erstellung von Förderrichtlinien, die klare Benennung der zu fördernden zivilgesellschaftlichen Strukturen und Themen sowie die Festschreibung einer realistischen Mindestsumme, um die Arbeit langfristig abzusichern. Nur so können wir den mannigfaltigen Herausforderungen gerecht werden.“

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung:
„Die engagierte Zivilgesellschaft braucht Planungssicherheit, die kleinteilige Projektitis muss aufhören. Wir brauchen eine Demokratieinfrastruktur, auf die sich Engagierte und Betroffene rechter Gewalt verlassen können. Ein klar abgestecktes und finanziell unterlegtes Demokratiefördergesetz ist auch die Ansage an den organisierten Rechtsextremismus, dass die demokratische Gesellschaft ihm die Stirn bietet.“

Die Pressemitteilung im Original und Kontaktmöglichkeiten für Nachfragen finden Sie auf der Website unseres Dachverbands VBRG.

Hass-Kommentare im Internet: Sind Ermittler zu lasch?

Recherchen der Sendung ZDF Magazin Royale legen nahe, dass Ermittlungsbehörden Hass-Postings oft nicht konsequent verfolgen – auch in Schleswig-Holstein. Beratungsstellen fordern jetzt Konsequenzen.

(…)Zebra: Opfer von Bedrohungen fühlen sich oft nicht ernst genommen

Nagel fordert zudem, dass Ermittler sich europaweit besser vernetzen. „Wenn das Internet ein rechtsfreier Raum ist, dann führt das dazu, dass Täter sich ermutigt fühlen weiterzumachen“, sagt er. „Das vergiftet das gesellschaftliche Klima und sorgt dafür, dass Betroffene in Angst leben.“

Von einer „Erschütterung des Sicherheitsempfindens“ spricht auch ein Sprecher des Zentrums für Betroffene rechter Angriffe in Kiel, kurz Zebra. Hass-Postings fallen zwar nicht primär in den Tätigkeitsbereich des Vereins. Zebra wird aber aktiv, wenn Menschen direkt bedroht werden – auch im Internet. Immer wieder komme es vor, so ein Sprecher, dass Opfer von Bedrohungen Strafanzeige stellen wollten und sich dabei nicht ernst genommen fühlten. „Manche von ihnen verlieren dann das Vertrauen in den Rechtsstaat.“

Es sei wichtig, dass die Polizei in solchen Fällen stärker die Perspektive der Betroffenen einnehme, meint der Zebra-Sprecher. „Wenn sie eine Anzeige stellen und dabei auf Ablehnung stoßen, kann das dazu führen, dass sie erneut viktimisiert werden, also erneut zum Opfer werden.“ (…)

https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Hass-Kommentare-im-Internet-Sind-Ermittler-zu-lasch,hasspostings114.html/