LEICHTE SPRACHE

Aktuelles

Zahl der Opfer rechtsextremer Gewalt nimmt zu

Ibrahim Arslan kämpft mit der „Möllner Rede“ gegen Rechts – Kieler Verein Zebra begleitet seit fünf Jahren Betroffene

Die Drohung kam per SMS: „Wenn du am 17.11.2019 die Möllner Rede im Exil hältst, knalle ich dich ab.“ Unterzeichnet mit „SS Obersturmbannführer“. Die Emp-fängerin, die Kabarettistin Idil Baydar, sprach dennoch. Bedrohungen, Sachbeschädigungen, körperliche Angriffe, Brandstiftung aus rassistischen Motiven – was das mit Menschen macht, erfahren die Berater von Zebra, dem Zentrum für Betroffene rechter Angriffe, in ihrer täglichen Arbeit.

Der vollständige Artikel steht in den Kieler Nachrichten vom 20.11.2019: www.kn-online.de

Interview zu rechten „Feindeslisten“

Freies Radio Neumünster

Immer wieder sind in letzter Zeit sogenannte rechtsextreme ‘Feindeslisten’ aufgetaucht. Auf ihnen finden sich Namen und teilweise Kontakt-informationen von Aktivist_innen, Politiker_innen und Journalist_innen, die von den mutmaßlich rechtsextremen Urheber_innen als Gegner betrachtet werden. Das Freies Radio Neumünster hat mit uns über die Gefahr für Betroffene gesprochen.

„Ein Jahr nach dem Urteil im NSU-Prozess kann es keinen Schlussstrich geben.“

Denn weder haben die Hinterbliebenen und Verletzten des NSU-Terrors Antworten auf zentrale Fragen und Forderungen erhalten, noch ist ein Ende der Verharmlosung bewaffneter Neonazi-Netzwerke wie Combat 18 und Nordkreuz durch Ermittlungsbehörden und politisch Verantwortliche in Sicht.“
„Staat und Gesellschaft müssen die Lehren aus der Mord- und Anschlagsserie des NSU endlich ernst nehmen: Rechter, rassistisch und antisemitisch motivierter Terror und Gewalt gegen politische Gegner*innen sind nicht abstrakt, sondern eine reale Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und das Leben der Betroffenen.“
„Ein Jahr nach dem Urteil im NSU-Prozess kann es keinen Schlussstrich geben: Denn weder haben die Hinterbliebenen und Verletzten des NSU-Terrors Antworten auf ihre Fragen und Forderungen erhalten, noch ist ein Ende der Verharmlosung bewaffneter Neonazi-Netzwerke wie Combat 18 und Nordkreuz durch Ermittlungsbehörden und politisch Verantwortliche in Sicht“, betont Franz Zobel vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.). Umso wichtiger seien daher die zahlreichen lokalen Kundgebungen und Demonstrationen unter dem Motto „Kein Schlussstrich“ in NSU-Tatortstädten wie Dortmund und andernorts durch Initiativen und Bündnisse vor Ort.
„Staat und Gesellschaft müssen die Lehren aus der Mord- und Anschlagsserie des NSU endlich ernst nehmen: Rechter, rassistisch und antisemitisch motivierter Terror und Gewalt gegen politische Gegner*innen sind nicht abstrakt, sondern eine reale Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und das Leben der Betroffenen“, sagt Kai Stoltmann, Berater bei zebra in Schleswig-Holstein und im Vorstand des VBRG e.V.. Stoltmann verweist auf die so genannte „Feindesliste“ des „Nordkreuz“-Netzwerks und die wiederholten Morddrohungen gegen Kommunalpolitiker*innen, Flüchtlingsunterstützer*innen und Antifaschist*innen wie beispielsweise den Sprecher des Braunschweiger Bündnisses gegen Rechts. „Alle, die im Visier rechter Terrornetzwerke und auf ‚Feindlisten’ stehen, müssen vom BKA und den Landeskriminalämtern umfassend informiert werden, um ihre Gefährdung selbst einschätzen und ggf. Schutzmaßnahmen ergreifen zu können.“ Auch der Name und die Adresse des Anfang Juni ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) war schon Mitte der 2000er Jahre in einer der „Feinddatensammlungen“ des NSU aufgeführt. Der unter dringenden Tatverdacht stehende Neonazi Stephan E. bewegte sich inmitten des mutmaßlichen Unterstützerumfelds für den NSU-Mord an Halit Yozgat im April 2006 in der Kasseler Nordstadt.
Anlässlich des ersten Jahrestags der Urteilsverkündung im NSU-Prozess sowie der Ermordung von Walter Lübcke fordern die Opferberatungsstellen daher erneut konkrete und wirksame Maßnahmen in der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt und rassistisch motiviertem Terror. „Dazu gehört dringender denn je ein Ende des Prinzips ‚Quellenschutz vor Strafverfolgung’ für Neonazis, die als V-Leute und Informanten von Geheimdiensten und Polizeien vor Ermittlungen geschützt werden sowie ein Ende der Aufklärungsblockade durch die Verfassungsschutzämter“, sagt Franz Zobel vom VBRG. „Das hessische Innenministerium muss die noch immer für 40 Jahre gesperrten Akten zum NSU Komplex sofort freigeben, um eine weitreichende Aufklärung zu ermöglichen“, betont Olivia Sarma von der hessischen Beratungsstelle response in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Zudem müssten alle bislang unaufgeklärten Verdachtsfälle von rassistischer und rechter Gewalt in Kassel und Nordhessen neu untersucht werden und mit einer Enquete-Kommission im Bundestag eine längst überfällige gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung zu Rassismus begonnen werden.
Die Opferberatungsstellen unterstützen darüber hinaus Überlebende und Verletzte der NSU-Anschläge in Köln in ihrer Auseinandersetzung um ein Mahnmal an einem Ort ihrer Wahl in Sichtweite des Anschlagsorts in der Keupstraße. Der von den Bewohnern der Keupstraße favorisierte Entwurf des Künstlers Ulf Aminde ist derzeit im Kölner Museum Ludwig zu sehen. „Wir als Überlebende des Anschlags auf die Keupstraße werden jeden Tag an dieses schreckliche Ereignis erinnert, aber die meisten anderen Menschen nicht, weil über die verbrecherischen Taten von Neonazis gegen Migrant*innen viel zu wenig berichtet und gesprochen wird,“ sagt Arif S., einer der Überlebenden des NSU-Bombenanschlags in der Keupstraße in Köln. „Dieses Mahnmal wird unsere Geschichte, die Geschichte der Überlebenden des Anschlags, erzählen. Dieses Mahnmal ist wichtig, um die Ereignisse in der Keupstraße und der Propsteigasse in Köln nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Nicht nur für uns, sondern in erster Linie für die hier lebende gesamte Gesellschaft.“

Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe in Schleswig-Holstein

zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe präsentiert die Ergebnisse des landesweiten Monitorings für 2018

Seit Beginn des Jahres 2017 wird von zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe ein systematisches und unabhängiges Monitoring durchgeführt. Die daraus resultierende Statistik beinhaltet Körperverletzungen, massive Sachbeschädigungen sowie andere Gewalttaten mit erheblichen Folgen, denen eine politisch rechte, rassistische oder antisemitische Motivation zugrunde liegt.Im Jahr 2018 wurden von zebra 51 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten registriert, von denen 69 Menschen betroffen waren. Im Vergleich zum Vorjahr scheint die Tendenz in Schleswig-Holstein leicht rückläufig zu sein. Gleichzeitig hat der Anteil rassistischer Gewalttaten zugenommen, die mittlerweile 61% der dokumentierten Vorfälle ausmachen. Unter den Opfern waren auch 20 Kinder und Jugendliche. Damit die zivilgesellschaftlichen Daten mit staatlichen Zahlen vergleichbar sind, orientiert sich das Monitoring an der Erfassungsweise der polizeilichen Kriminalstatistik. Lisa Luckschus, Projektleitung bei zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe, sagt dazu: „Angesichts unserer aktuellen Zahlen besteht leider kein Grund zur Entwarnung. Gerade Angriffe wie Bedrohungen oder Sachbeschädigungen, die wir in unserem Monitoring nicht erfassen, waren vermehrt Grund, unser Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen.“ Die gesellschaftliche Stimmung bleibe weiterhin angespannt, so dass auch die Zahl der Gewaltdelikte jederzeit wieder eskalieren könne.
Das Monitoring für Schleswig-Holstein basiert auf den Kriterien des VBRG – Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Demnach liegen den Zahlen direkte Kontakte mit den Betroffenen oder aber externe vertrauenswürdige Quellen zugrunde. Trotz dieser Vorgehensweise ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, die genannten Zahlen stellen somit nur die Spitze des Eisbergs dar. Aus Angaben der Regierung wissen wir von weiteren Vorfällen, etwa aus dem Bereich des Antisemitismus, zu denen jedoch nicht genügend Informationen für eine Aufnahme in die Statistik vorliegen.

Seltener, aber brutaler

Im vergangenen Jahr wurden in Schleswig-Holstein weniger Menschen Opfer rechter oder rassistisch motivierter Gewalt – kein Grund zur Entwarnung.

Erst gab es dumme Sprüche, dann Handgreiflichkeiten: Die AngreiferInnen schubsten ihr Opfer so massiv, dass die Frau sich an der Hand verletzte und ein chronischer Schaden bleiben wird. Die Frau wurde wegen ihrer Hautfarbe und Kleidung beleidigt und angegriffen, sie ist eines der 69 Opfer rechter und rassistischer Gewalt, die die Beratungsstelle Zebra im Jahr 2018 in Schleswig-Holstein gezählt hat.

Die Zahl der Opfer rassistisch motivierter Straftaten nahm im Vergleich zum Vorjahr leicht ab, die Brutalität der Taten aber stieg. Jedes fünfte Opfer war ein Kind oder Jugendlicher. „Entwarnung können wir also nicht geben“, sagt Kai Stoltmann, Berater vom Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra), der in Kiel mit seiner Kollegin Lisa Luckschus die Statistik vorstellte.

Die Zahlen stellen im Westen der Republik eine Besonderheit dar. Zwar gibt es Beratungsstellen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt in fast allen Ländern, auch in Hamburg, Niedersachsen und Bremen, aber außer Schleswig-Holstein legt nur Nordrhein-Westfalen ein Gewalt-Monitoring vor.

Aufgenommen werden Vorfälle, die als Straftaten einzustufen sind, damit sie sich mit den Polizeistatistiken vergleichen lassen. So fließen also Bedrohungen und einfache Sachbeschädigungen wie Schmierereien nicht in das Monitoring ein. Die Umstände müssen auf rechte Motive hinweisen, etwa durch rassistische Beleidigungen, die Wahl des Opfers oder den Ort, zum Beispiel im Umfeld einer Demo gegen rechts.

Weniger Brandanschläge auf Geflüchtete

Diese Taten haben zugenommen, sagt Stoltmann. Gesunken ist dagegen die Zahl von Brandstiftungen auf Häuser, in denen Geflüchtete untergekommen waren. Diese Taten bildeten 2016 einen Schwerpunkt. 2018 waren die meisten erfassten Taten Körperverletzungen, gefolgt von Nötigungen und Bedrohungen. Das überwiegende Motiv war Rassismus, zu einem kleineren Teil wurden politische GegnerInnen angegriffen.

Damit glichen die Zahlen aus Schleswig-Holstein denen aus den östlichen Bundesländern (siehe Kasten). Es sei wichtig, dass es ein unabhängiges Monitoring von rechter Gewalt und Hasskriminalität gebe, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Tobias von Pein. „Die Fallzahlen mögen nicht hoch erscheinen, aber jede Tat ist eine zu viel“, sagt er.

Zudem sei von einer deutlich erhöhten Dunkelziffer auszugehen. Von Pein warnt vor einer „Verrohung der Debatte, die dazu führt, dass Gewalt immer häufiger ein legitimes Mittel der Konfliktbearbeitung zu sein scheint“.

Die Beratungsstelle Zebra, die Fördermittel vom Land und dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ erhält, hat ihren Sitz in Kiel. Die MitarbeiterInnen besuchen Gewaltopfer aber meist zu Hause und bieten rechtliche oder psychosoziale Beratung an. Dabei müssen die Beratungskräfte Überzeugungsarbeit leisten: „Viele haben schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht, in ihren Herkunftsländern und teilweise auch hier, sie sind daher misstrauisch“, sagt Luckschus.

Teilweise gehen Zebra-BeraterInnen mit zur Polizei oder sie vermitteln an therapeutische Praxen. Hilfe brauchen oft die Kinder, die vielleicht nicht selbst verletzt wurden, aber einen Angriff auf die Eltern erlebt haben.

Selten melden sich die Opfer bei der Beratungsstelle, sondern Luckschus und ihre KollegInnen werden über Medienberichte, soziale Plattformen oder durch Hinweise dritter auf die rechten Übergriffe aufmerksam. In den ersten Monaten 2019 nahmen die gemeldeten Taten zu. Stoltmann befürchtet: „Wenn das so weitergeht, gibt es einen Höchststand.“

http://www.taz.de/!5583580/

Weniger rechte und rassistische Angriffe

Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe erfasst eine Beratungsstelle seit 2017 systematisch in Schleswig-Holstein. Deren Zahl ging 2018 zurück. Für die Berater ist das aus einem Grund aber kein Anlass für Entwarnung.

Das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) hat 2018 in Schleswig-Holstein 51 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten registriert. Von denen waren 69 Menschen betroffen, wie Berater Kai Stoltmann am Donnerstag bei der Vorstellung der Jahresbilanz sagte. Das entsprach einem Rückgang der Vorfälle.

2017 hatte Zebra 62 Vorfälle mit insgesamt 73 Opfern registriert.

„Angesichts unserer aktuellen Zahlen besteht kein Grund zur Entwarnung“, sagte Projektleiterin Lisa Luckschus. „Gerade Angriffe wie Bedrohungen oder einfache Sachbeschädigungen, die wir in unserem Monitoring nicht erfassen, waren vermehrt Grund, unser Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen.“

Anteil rassistischer Gewalttaten gestiegen

Laut Stoltmann machen Körperverletzungen den Schwerpunkt rechter Gewalt im Norden aus. Gleichzeitig habe der Anteil rassistischer Gewalttaten zugenommen und mache mittlerweile einen Anteil von 61 Prozent aus. Schwerpunkte der von dem Netzwerk registrierten Fälle waren Kiel (9 Fälle), Lübeck und der Kreis Pinneberg (jeweils 7). Rechte Angriffe seien kein rein ostdeutsches Problem.

Seit Anfang 2017 erfasst die Initiative systematisch solche Vorfälle im Norden. Die Berater gehen von einem großen Dunkelfeld aus. „Uns geht es darum, die Spitze des Eisbergs zu erfassen“, sagte Luckschus. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres erfassten sie und ihre Kollegin allein 18 Fälle. Setze sich dieser Trend fort, sei für das laufende Jahr mit einem neuen Höchstwert zu rechnen.

https://www.kn-online.de/Nachrichten/Schleswig-Holstein/Statistik-Weniger-rechte-und-rassistische-Angriffe-in-Schleswig-Holstein

Kontinuitäten rechter Angriffe

Obwohl mit einer nachlassenden Anti-Asyl-Agitation eine leichte Verringerung des rechtsextremen Personenpotenzials in Schleswig-Holstein zu verzeichnen ist, sind gesellschaftliche Spannungen um die Aufnahme geflüchteter Menschen weiterhin erkennbar, und rechte Angriffe bleiben auf hohem Niveau.

Rechtsextremismus

Gewalt bleibt immanenter Bestandteil der rechtsextremistischen Szene in Schleswig-Holstein und ihre Agitation richtet sich weiterhin gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung – auch bei Wandlung ihrer Agitationsweisen. Ein Großteil der erfassten Delikte besteht aus sogenannten Propagandadelikten. Zudem sind in großer Zahl ‚Hasspostings‘ im Internet und über Messenger-Dienste festzustellen. Bei Gewaltdelikten ist nur ein geringer Rückgang zu verzeichnen. Die lokalen Schwerpunkte bilden die Städte Kiel, Lübeck und Pinneberg. Die Mitgliederentwicklungen rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen bleibt auf einem stabilen Niveau. Die sogenannte „Identitäre Bewegung“ schaffte es beispielsweise durch unterschiedliche Aktionen, öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen.

„Rassismus als Ideologie der Ungleichwertigkeit und insbesondere Alltagsrassismus ist gerade in den ländlichen Räumen in Schleswig-Holstein gegenwärtig. Hieran versuchen rechtsextreme Akteur*innen wie die Identitäre Bewegung, z.B. mit einer Aktion am 23. März am Landeshaus in Kiel unter dem Label „120 Dezibel – tote Mädchen lügen nicht“ oder „Freie Kräfte“ mit der „Aktion Schwarze Kreuze“ thematisch anzudocken. Besorgniserregend ist zudem das offenere und gewalttätigere Auftreten von rechtsextremen Akteur*innen, einhergehend mit Vereinnahmungsversuchen z.B. in „Kampfsportvereinen“ oder öffentlich beworbenen Neonazikonzerten von „Gehasst.Verdammt.Vergöttert“, deren Mitglieder teilweise Verbindungen in das Combat 18 Netzwerk haben. Treffpunkt und wichtige Scharnierfunktion für die rechte Szene im Norden hat weiterhin die Gaststätte Titanic in Neumünster.“ (Torsten Nagel – Leiter des Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus AWO Interkulturell)

NPD

Mit Ausnahme von Neumünster, wo die NPD bei den Kommunalwahlen 3,9% der Stimmen erreichte, verliert die NPD in Schleswig-Holstein weiterhin an Bedeutung. Seit den Wahlen im Mai 2018 besetzt die NPD nun zwei Mandate im Rat. Neben der parteigebundenen Rechten zeigt sich auch in 2018 eine aktionsorientierte und subkulturelle rechte Szene in Schleswig-Holstein – auch mit Kontakten zum Rocker- und Fußball-Milieu. Die Organisation großer Szene-Veranstaltungen gelang rechtsextremen Akteur*innen nicht. Analog zu bundesweiten Entwicklungen blieben Flucht und Asyl die Kernthemen der extremen Rechten. Die Hetze gegen Geflüchtete blieb Kernthema ihrer Agitation – ihre zentrale Formel in der öffentlichen Wahrnehmung lautet entsprechend: „Asylflut stoppen“. Der Versuch, sich von anderen rechtspopulistischen und rechtsextremen Akteur*innen als „wahre und erste nationale Kraft“ abzugrenzen, kann als gescheitert eingeordnet werden. Dennoch ist beispielsweise im Kreisverband Herzogtum-Lauenburg und Stormarn seitens der NPD eine zunehmend offensive Abwertung gegenüber Initiativen für Demokratie oder Veranstaltungen gegen Rassismus zu beobachten.

Kontinuitäten rechter Angriffe

In 2018 ist unter anderem durch die verringerte Aufnahme von Geflüchteten und der Verstetigung der Flüchtlingsarbeit analog zu bundesweiten Entwicklungen eine weitere Abnahme rechtsextremistisch motivierter Kriminalität zu verzeichnen.

Trotz statistischer Abnahmen berichtet die Beratungsstelle zebra e.V. (Zentrum für Betroffene rechter Angriffe) auch im Jahr 2018 von einer hohen Auslastung. Gegenwärtig enden erste komplexe Beratungsprozesse aus den vergangenen Jahren. So kam es beispielsweise im Januar 2018 zur Urteilsverkündung wegen eines rassistischen Brandanschlags – im Frühjahr 2016 wurde versucht, die Unterkunft einer syrischen Familie anzuzünden. Die Mitarbeiter*innen von zebra e.V. nehmen in vielen Orten Schleswig-Holsteins im Rahmen ihrer Beratungen eine Kontinuität rechter Angriffe wahr. Die rechten Angriffe – darunter Körperverletzungen – richten sich insbesondere gegen zwei Gruppen: Zum einen gegen Menschen, die von Rassismus betroffen sind und zum anderen gegen politische Gegner*innen, die sich beispielsweise für Demokratie und Menschenrechte engagieren. Für beide Gruppen bleibt die Bedrohung hoch. Im April wurde etwa der türkischstämmige CDU-Politiker Baris Karabacak aus Pinneberg zum Ziel rechter Angriffe. Nach Anfeindungen in den Sozialen Medien wurde er am Telefon aufgefordert, in die Türkei zurückzukehren, weil sonst sein Haus verwüstet werden würde.

Am 10. Juni gab es einen Farbanschlag in Hetlingen (Kreis Pinneberg) gegen die Bürgermeisterin mit Schmierereien wie „No CDU“ und „Merkel muss weg“. Im Januar wurde das Sozialkaufhaus Hoelp in St. Michaelisdonn Ziel eines rechtsextremen Angriffs, bei dem Fensterscheiben, Container und Autos mit Hakenkreuzen beschmiert worden sind.

Nach rechten Drohungen gegen den Betreiber eines Kinos in Bad Schwartau wurde die Vorführung des Films ‚Wildes Herz‘ im November abgesagt. „Die Absage des Dokumentarfilms ‚Wildes Herz‘ über die Punkband Feine Sahne Fischfilet zeigt exemplarisch, wie rechte Ideologie in rechte Angriffe übergehen kann. Vorausgegangen war eine Bombendrohung gegen eine Schule in Timmendorfer Strand und ein Kino in Bad Schwartau.“ (Kai Stoltmann – zebra e.V.)

Schleswig-holsteinische Akteure der extremen Rechten beteiligten sich am ‚Schild und Schwert- Rechtsrock-Festival‘ in Ostritz. „In der Umgebung von rechten Konzerten und Kundgebungen kommt es immer wieder zu rechten Angriffen. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen haben sich 2018 in Neumünster gegen die Kneipe ‚Titanic‘ positioniert. Auch im Jahr 2019 muss es nach rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen breite Solidarisierungsprozesse aus der Zivilgesellschaft geben, an denen sich viele Menschen beteiligen.“ (Kai Stoltmann – zebra e.V.)

In Neumünster bleibt der Szene-Treffpunkt als Kneipe „Titanic“ vorerst bestehen. Die groß angelegte Aktion „Titanic versenken“ gegen die Gaststätte an der Wippendorfstraße in Neumünster, Treffpunkt der rechten Szene, steuert dagegen.

Rechte Angriffe finden nicht im luftleeren Raum statt – sie werden oftmals von öffentlichen Debatten getragen. Nicht zuletzt die Ereignisse in Chemnitz, verbunden mit rassistischen Mobilisierungen, machen das Potential rechter Angriffe erneut deutlich. Nicht selten sind Gefühle von Unsicherheit Folge von Rassismus, Antisemitismus und rechter Gewalt.

Reichsbürger*innen

Die Reichsbürgerbewegung in Schleswig-Holstein untergliedert sich gegenwärtig in verschiedene Organisationen. Die Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein hat mit dem Stand September 2018 insgesamt 288 Personen als Reichsbürger*innen identifiziert. Diese nutzen auch in Norddeutschland das Internet als Kommunikationsmittel zur Verbreitung ihrer Ideologie und für die Rekrutierung weiterer Anhänger*innen. Die Aufmachung ihrer Internetseiten verfolgt das Ziel, sie so erscheinen zu lassen, als würden große Organisationen dahinterstecken.

Rechtspopulismus

Im Rahmen der Kommunalwahlen im Mai zog die AfD in nahezu alle Kreis- und Stadtparlamente ein. In Flensburg und in Neumünster blieb dies aus, dort ist die Partei nicht angetreten. Die Themen der AfD beliefen sich weitgehend auf Flucht, Asyl, „Alt-Parteien“ und Gender-Mainstreaming. Im Zuge dessen wurde beispielsweise die Gleichstellungsbeauftragte in Bad Segeberg hinsichtlich einer Veranstaltung im Kontext von „Gender und Rechtspopulismus“ verbal angegriffen. In Husum kam es bei einem Workshop von „Aufstehen gegen Rassismus“ ebenfalls zu einem derartigen Vorfall – zum Ende der Veranstaltung störte eine Teilnehmerin diese mit rassistischen Tiraden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich bei der Teilnehmerin um eine AfD-Kandidatin aus Nordfriesland handelte.

Schleswig-Holsteins ehemalige AfD-Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein wurde aufgrund des Verstoßes gegen die Grundsätze der Partei aus der Fraktion der AfD ausgeschlossen. Sie hatte für einen Verein geworben, der sowohl auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD steht als auch vom thüringischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft ist.

Verfasst vom Landesdemokratiezentrum Schleswig-Holstein auf Grundlage der Berichte von den Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus (RBT) unter der Trägerschaft des AWO-Landesverbandes e.V. und der Aktion Kinder- und Jugendschutz e.V., dem Zentrum für Betroffene rechter Angriffe zebra e.V. (Beratungsstelle für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt sowie anderer Straf- und Gewalttaten aus Motiven der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit), sowie dem Kieler Antigewalt- und Sozialtraining KAST e.V. (Beratungsstelle Ausstieg- und Distanzierung aus dem rechtsextremen Spektrum) und dem Verfassungsschutzbericht 2017.

https://www.belltower.news/schleswig-holstein-2018-kontinuitaeten-rechter-angriffe-80405/

„EINE WOHNUNG IST DER BESTE SCHUTZ“

Auch in Schleswig-Holstein erleben wohnungslose Menschen Anfeindungen und Gewalt. Das Dunkelfeld ist groß, weil nur die wenigsten Vorfälle öffentlich bekannt werden.

Am 13. September 2000 wurde der Obdachlose Malte Lerch auf den Schleswiger Königswiesen von zwei Neonazis brutal erschlagen. Er hatte dort zuvor mit den beiden Skinheads gemeinsam gezecht. Nach negativen Bemerkungen über die Neonazi-Szene fühlten sich seine beiden Begleiter beleidigt. Sie schlugen Lerch und traten mit ihren Stahlkappenstiefeln auf ihn ein. Anschließend haben sie ihr Opfer schwer verletzt zurückgelassen. Erst am folgenden Tag wurde die Leiche des Wohnungslosen von Passanten gefunden. 


Einige Tage nach dem Mord versammelten sich über 300 Menschen in Schleswig, um gegen rechte Gewalt zu protestieren und an den Tod von Malte Lerch zu erinnern. Die beiden Täter wurden vom Flensburger Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu jeweils sieben Jahren Haft verurteilt. Dennoch ist über das Leben von Malte Lerch nur wenig bekannt. Die wenigen bekannten Informationen kreisen stets um die Stichworte „Obdachloser“, „Opfer“ und „Neonazis“. Ähnlich sieht es auch bei vielen anderen Wohnungslosen aus, die in den letzten Jahrzehnten mit einer politisch rechten Motivation umgebracht wurden. Von einigen kennt man noch nicht einmal den Namen. Sicher ist dagegen, dass allein seit 1990 mindestens 40 wohnungslose Menschen in Deutschland umgebracht wurden, weil sie nicht dem Weltbild der Angreifer entsprochen haben. 

Sozialdarwinistische Gewalt gegen wohnungslose Menschen ist schon seit längerem ein alltägliches Phänomen, wie Paul Neupert betont. Als Fachreferent von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. beschreibt er das Vorgehen der Täter als „oft spontan, überfallartig, enthemmt und sehr brutal“. Meistens richten sich die Angriffe gegen wehrlose Opfer, die beispielsweise im Schlaf überrascht werden. Trotzdem erstatten nur die wenigsten Betroffenen bei der Polizei Anzeige. Die Opfer sind nach der Tat weiterhin wohnungslos, weshalb sie nach einer Anzeige die Rache von den Tätern fürchten müssen. Es werden somit vor allem jene Gewalttaten öffentlich bekannt, bei denen couragierte Passanten oder die Polizei zufällig vor Ort gewesen sind. Dementsprechend groß ist das Dunkelfeld von rechten Angriffen gegen wohnungslose Menschen, belastbare Zahlen liegen selbst bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. nicht vor. Unter den Wohnungslosen gebe es jedoch kaum jemanden, der die Gefahr nicht wahrnehme, so Paul Neupert weiter. Aus seiner Perspektive ist „eine Wohnung der beste Schutz“, weshalb private Rückzugsräume nötig sind, in denen sich die wohnungslose Menschen sicher fühlen können. 

Die Notwendigkeit von sicheren Rückzugsräumen zeigt sich auch vor Ort in Kiel. „Bei uns ist die Lage gerade relativ ruhig, was richtige Gewalttaten gegen Wohnungslose angeht. Allerdings kommt es schon zu Belästigungen, wenn beispielweise nachts auf die Schlafsäcke gepinkelt wird oder das Eigentum von Wohnungslosen geklaut wird.“, so Michael Schmitz-Sierck, der als Teamleiter im Tagestreff und Kontaktladen der Stadtmission arbeitet. Dementsprechend werden entsprechende Übergriffe von den Gästen des Tagestreffs im Alltag immer wieder thematisiert. Möglichen Zeugen dieser Vorfälle empfiehlt Schmitz-Sierck, „sich einzumischen, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen“. 

Unterstützung finden wohnungslose Betroffene, Angehörige und Zeugen von rechten Gewalttaten in Schleswig-Holstein bei der Beratungsstelle zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe. Dort bekommen Opfer von sozialdarwinistischer Gewalt kostenlose Hilfe, ohne dass eine Anzeige bei der Polizei notwendig ist. Zu den Aufgaben von zebra gehört jedoch unter anderem, wohnungslose Gewaltopfer bei ihrem Kontakt mit der Polizei und Justiz zu begleiten und die Perspektive von Betroffenen nach einem Angriff medial bekannt zu machen.

https://www.hempels-sh.de/fileadmin/user_upload/magazin_pdf/2019/Hempels_274.pdf

So viele Schleswig-Holsteiner stehen auf der „Todesliste“ der Rechtsextremen

Das LKA weigert sich, Auskünfte zu geben und will Betroffene auch nicht informieren. Antworten gibt es vom Ministerium.

Wie viele Schleswig-Holsteiner stehen auf den sogenannten „Todes“- oder „Feindeslisten“ der rechten Szene? Das Landeskriminalamt weigert sich, darüber Auskunft zu geben.

Der Landtagsabgeordnete Lasse Petersdotter (Grüne) gibt sich damit nicht zufrieden, zumal das Innenministerium ihm vergangenen September noch versichert hat, jeder Bürger könne erfragen, ob er auf einer solchen Liste stehe. Petersdotter hatte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) angeschrieben, um zu erfahren, wie viele Schleswig-Holsteiner seit 2011 auf rechten Listen entdeckt wurden. 2011 war im Brandschutt der Wohnung des NSU-Trios in Zwickau die sogenannte „10.000-Liste“ gefunden worden.

Die Antwort des Innenministeriums: 24 Schleswig-Holsteiner standen auf der „10.000-Liste“. Das LKA habe sie angeschrieben – insbesondere, um sie über das „Nicht-Vorliegen einer Gefährdung“ zu informieren. Mit genau dem Argument, dass keine Gefahr bestehe, verweigert das LKA jetzt jedoch jegliche Auskünfte, etwa zur „Nordkreuz“-Liste (25.000 Namen).
Sie muss die Listen ernst nehmen, die Betroffenen informieren und ihnen Beratungsstellen vermitteln. Lasse Petersdotters Forderung an die Polizei

„Es geht bei solchen Listen nicht allein um Einschüchterung“, warnt Petersdotter. „Die Ersteller hoffen, dass sich jemand findet, der sich als Vollstrecker sieht und aktiv wird.“

Schädliche Ungewissheit

Das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe („Zebra“) in Kiel ist eine solche Beratungsstelle – und die Listen sind ein Thema. „Unseren Dachverband erreichen derzeit viele Anfragen von Menschen, die sich unabhängige Beratung wünschen, unter anderem wegen der verharmlosenden Einschätzungen der Innenministerien bezüglich der Bedeutung dieser Datensammlungen“, sagt Berater Kai Stoltmann. Auch er fordert die Polizei auf, die Menschen nicht im Ungewissen zu lassen.

„Für Betroffene besteht weiterhin die Möglichkeit, beim Innenministerium zu erfragen, ob sie auf einer Liste stehen“, erklärte Sprecher Dirk Hundertmark gestern. Und weiter: Die Benachrichtigungen zur „10.000er-Liste“ sei damals nach einer bundesweiten Abstimmung ausschließlich aufgrund der Schwere der durch den NSU verübten Taten erfolgt.

Bei den jüngeren Listen, die zum Großteil aus öffentlich zugänglichen Quellen stammten, erfolge im Norden keine generelle aktive Unterrichtung. „Dies würde aus polizeilicher Sicht zu einer nicht gerechtfertigten Verunsicherung führen“, so Hundertmark.
Damit hätten die Täter eines ihrer Ziele erreicht: Verunsichern und Angst schüren.

https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/politik/so-viele-schleswig-holsteiner-stehen-auf-der-todesliste-der-rechtsextremen-id24931122.html