LEICHTE SPRACHE

Monitoring 2022

Rechte Gewalt bleibt in Schleswig-Holstein ein alltägliches Problem

Beratungsstelle ZEBRA stellt Ergebnisse des
landesweiten Monitoring für 2022 vor

Fast jeden dritten Tag wurden in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr Menschen aus rassistischen, antisemitischen oder anderen rechten Motiven angegriffen.

Die Beratungsstelle ZEBRA registrierte 2022 im Rahmen ihres unabhängigen Monitorings insgesamt 104 Fälle mit 146 Betroffenen. Im Vorjahr lag die Zahl mit 77 verzeichneten Fällen um etwa 1/3 darunter. Menschen, die rassistische Gewalt erlebten, bildeten auch 2022 die größte Betroffenengruppe, gefolgt von politischen Gegner_innen, wie beispielsweise Lokalpolitiker_innen oder antifaschistische Aktivist_innen.

Die erhöhte Anzahl der Gewalttaten ging zudem mit einem hohen Maß körperlicher Gewalt einher – über 60% der Angriffe waren Körperverletzungsdelikte.

Für Niclas Dürbrook, Landtagsabgeordneter der SPD, zeigt das Monitoring die weiterhin bestehende Gefahr, die von rechten Gewalttaten ausgeht:

„Die Zahlen im ZEBRA-Monitoring sind erschreckend und zeigen, dass wir bei rechter Gewalt nicht aufhören dürfen genau hinzuschauen. 146 Betroffene von rechter Gewalt sind 146 zu viele“.

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt zeigt sich darüber hinaus nach wie vor als flächendeckendes Problem. Dennoch stellt ZEBRA immer wieder Verschiebungen regionaler Schwerpunkte fest.

Ein starker Anstieg der Gewalttaten zeigte sich 2022 in Flensburg sowie im Kreis Pinneberg.

In Flensburg wurden mit 14 Gewalttaten fast dreimal so viele Angriffe im Vergleich zum Vorjahr (2021: 5) registriert. Betroffen von diesen Taten waren insbesondere politische Gegner_innen, die im Kontext von Demonstrationen körperlich angegriffen wurden.

Felix Fischer, Berater bei ZEBRA, erklärt dazu:
„Regionale Spezifika, in diesem Fall durch eine aktive verschwörungsideologische Szene geprägt, können Handlungsräume extrem rechter Akteur_innen erweitern, wodurch es zu einem Anstieg der rechten Gewalttaten kommen kann. Dies konnten wir bereits 2019 im Kreis Segeberg beobachten, als durch die Aktivitäten einer neonazistischen Gruppe die Anzahl der Gewalttaten anstieg.“

Die meisten dieser Angriffe auf politische Gegner_innen finden sich jedoch nicht in der polizeilichen Statistik zur „politisch motivierten Kriminalität – rechts (PMK-rechts)“ wieder. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Einerseits muss davon ausgegangen werden, dass viele rechte Angriffe überhaupt nicht bekannt werden. Andererseits werden einige Angriffe aufgrund bestehender Hemmnisse nicht bei der Polizei angezeigt. Doch diese Punkte allein, können nicht erklären was ZEBRA seit Jahren beobachtet: Viele rechte Gewalttaten werden von der Polizei nicht als „PMK – rechts“ eingestuft. Dies wird bei einem Blick auf die Angriffe gegen politische Gegner_innen besonders deutlich, die ZEBRA in den letzten fünf Jahren ins Monitoring aufgenommen hat.

Auch bei Angriffen aus anderen rechten Tatmotivationen sieht ZEBRA Verbesserungsbedarf. Der Messerangriff auf mehrere Personen vor einer Kieler Bar im November 2022, wurde durch die Polizei z.B. nicht als queerfeindliche Tat und somit als rechtsmotiviert bewertet, sondern als „PMK – sonstiges“ eingestuft.

„Es braucht eine stärkere Sensibilität der Polizei bei der gesamten Bandbreite politisch motivierter Angriffe. Denn selbst offensichtliche Fälle fallen durch das Raster. Exemplarisch dafür steht ein Angriff aus dem Dezember. Ein Ehepaar wurde vor den Augen ihrer Kinder massiv körperlich angegriffen sowie rassistisch beleidigt und bedroht. Selbst als die Polizei bereits eingetroffen war und der betroffene Vater bereits mit mehreren Gesichtsfrakturen im Krankenwagen behandelt wurde, ließen die Angreifer_innen nicht von der Familie ab. Es folgte ein weiterer Angriff sowie rassistische Beleidigungen. Trotzdem wurde der Fall von der Polizei nicht als ,PMK-rechts’ eingestuft“, kritisiert Felix Fischer. „Es handelt sich unserer Einschätzung nach um ein strukturelles Problem. Mit Blick auf die Zukunft strebt ZEBRA den intensiveren Austausch mit der Polizei an, um dieser Herausforderung im Sinne der Betroffenen zu begegnen“, so Fischer weiter.

 

Das Monitoring für Schleswig-Holstein basiert auf den Kriterien des VBRG – Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.
Demnach liegen den Zahlen direkte Kontakte mit den Betroffenen oder aber externe vertrauenswürdige Quellen zugrunde. Trotz dieser Vorgehensweise ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, weshalb es weiterer Anstrengung bedarf, dieses bestmöglich zu erhellen und Betroffene zu unterstützen.
„Wir sehen immer wieder, dass rechte Gewalt auch in Schleswig-Holstein ein großes und nahezu tagesaktuelles Problem ist, dem wir von verschiedenen Seiten begegnen müssen: Aufklärung, Prävention, Nachverfolgung und Unterstützung für Betroffene“, fordert Lars Harms, der für den SSW im Landtag sitzt.

Seit Beginn des Jahres 2017 wird von ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe ein systematisches und unabhängiges Monitoring durchgeführt.
Die daraus resultierende Statistik beinhaltet Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, sowie massive Sachbeschädigungen, denen eine politisch rechte, rassistische oder antisemitische Motivation zugrunde liegt. Bedrohungen werden seit diesem Jahr, in Orientierung an der Gesetzesverschärfung, weitgreifender aufgenommen, wodurch der Anstieg der Bedrohungen (2022:19, 2021: 5) zu erklären ist.
Die Statistik von ZEBRA wird mit den Daten des Landeskriminalamtes abgeglichen. Erfahrungsgemäß könnte es in den kommenden Monaten noch zu Nachmeldungen von Taten kommen, die im Jahr 2022 begangen wurde.

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen dieAutor:innen die
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