Aktuelles 2

21.12.2023
Pressemitteilung ZEBRA e.V.

Urteilsverkündung zur rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg

Nach über drei Jahren kam es heute zur Urteilsverkündung im Fall der rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg. Am 17. Oktober 2020 fuhr ein 19-Jähriger, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in der AfD war, am Rande einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit einem Pick-Up in Antifaschist*innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Von einer Parkbucht aus steuerte Melvin S. das schwere Gefährt auf den Bürgersteig und fuhr gezielt in die Demonstrierenden. Der Angriff wurde von der Polizei in einer ersten Pressemitteilung noch als Verkehrsunfall verharmlost. Nachdem sich Betroffene öffentlich zu Wort gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Seit Juli wurde der Fall vor dem Landgericht Kiel wegen versuchtem Totschlag verhandelt.

Heute wurde der Angeklagte Melvin S. wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Zudem muss er Schmerzensgeld an alle Betroffenen zahlen.

In der Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass die Tat „kein rechter Angriff aus Hass oder Wut auf den politischen Gegner“ gewesen sei, sondern der Tatentschluss aus einer Notwehrhandlung heraus entstanden sei, da ein Begleiter des Täters von einer unbekannten Person geschlagen worden sei. Die Fahrt mit dem Auto auf dem Bürgersteig sei dafür allerdings das falsche Mittel gewesen. Dabei habe S. zunächst zwei Betroffene mit dem Auto getroffen, sei dann ohne zu bremsen weitergefahren und hätte dann eine weitere Betroffene getroffen. Ein vierter Betroffener habe sich nur durch einen Sprung retten können.

Spätestens, als der Täter nach dem ersten Aufprall ohne zu bremsen weiter auf dem Bürgersteig fuhr, in Kombination mit den vorherigen Aussagen des Täters über seinen Hass auf Linke, ergibt sich ein Gesamtbild, dass die Kammer meiner Meinung nach unzureichend bewertet hat“, erklärte Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage, in Bezug auf den Tatvorwurf und die mögliche Tatmotivation. Dass die besondere Brutalität nicht in die Bewertung der Tat als rechter Angriff einfloss, ist aus Sicht von ZEBRA ebenfalls zu kritisieren.

Das Gericht hat zwar u.a. anhand der AfD-Mitgliedschaft des Täters ein zum Tatzeitpunkt rechtes Weltbild festgestellt, ein mögliches rechtes Tatmotiv, das sich strafverschärfend ausgewirkt hätte, sah das Gericht nicht als vollends bewiesen an. Dabei hatte sich der Täter neben seiner Parteimitgliedschaft bereits vor der Tat in einem Chat über seinen Hass gegen Linke ausgelassen.

Zudem führten Melvin S. und seine Begleiter Aufkleber mit rechten Inhalten und eine Flasche sogenannter „Reichsbrause“ mit sich, die im Onlineshop des bundesweit bekannten Neonazis Tommy Frenck zu erwerben ist, und lies sich am Rande der antifaschistischen Kundgebung damit fotografieren. Auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Uniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege für die extrem rechte Ideologie des Täters zeigen sich die Schwierigkeiten in der Anwendung des §46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Was muss noch erwiesen sein, damit sich die politische Dimension mit §46 auch im Kontext Strafzumessung ausdrücken kann?“, kritisiert Felix Fischer, Berater bei ZEBRA.

Auf die vom Täter und seinen Begleitern behauptete Notwehrsituation ging das Gericht insoweit ein, dass es eine Situation gegeben habe, die den Täter veranlasst habe mit dem Auto loszufahren. Zu dieser Strategie hatte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen in der Nebenklage vertrat, schon in seinem Plädoyer gesagt: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen.“ Ein Phänomen, dass bei rechten Angriffen immer wieder zu beobachten ist. Unter dem Vorwand einer stetigen, vermeintlichen Bedrohung von Antifaschist*innen oder einer imaginierten „Überfremdung“ sind Rechte dauerhaft in einer Situation, in der sie ihre Gewaltanwendung als vermeintliche Notwehrhandlungen begründen. Die „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind sei auch ein Beleg für einen Tötungsvorsatz beim Angeklagten, erklärte auch Rechtsanwalt Björn Elberling bereits in seinem Plädoyer: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.

Mit dem heutigen Urteil ist zwar die juristische Aufarbeitung der Autoattacke möglicherweise vorerst beendet, die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen wirken aber weiter. „Der Angriff mit dem Pick-Up kam aus dem Nichts. Er riss mich hinein in ein schmerzdominiertes Leben, von denen der Schmerz mittlerweile meinen Tagesablauf bestimmt und nicht mehr das Schöne“, erklärte einer der Betroffenen. Der rechte Angriff von Henstedt-Ulzburg, der durchaus hätte tödlich enden können, stellte für die Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr Leben dar. Teilweise bestehen bis heute Einschränkungen im alltäglichen Leben und noch ist unklar, ob die vorhandenen psychischen, physischen und materiellen Folgen entschädigt werden. Der Kampf der Betroffenen um Gerechtigkeit und Bewältigung ist daher noch lange nicht vorbei. „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess endet heute, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen“ eine Betroffene dazu.

Der Angriff von Henstedt-Ulzburg hat gezeigt, dass die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur*innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist*innen und von Rassismus betroffene Personen nicht ohne Wirkung bleibt und sich potentielle Täter*innen zu Angriffen berufen fühlen, die tödlich enden können. Die AfD versucht ihre eigene Rolle in der Autoattacke bis heute kleinzureden. Doch nicht nur war der Täter zum Tatzeitpunkt Mitglied der Partei, kurz nach der Tat traf er sich mit dem damaligen Kreisparteivorsitzenden Julian Flak, der ihm einen Austritt aus der AfD nahelegte, um Schaden von der Partei abzuwenden. Gleichzeitig versuchte Flak sich in Täter-Opfer-Umkehr und verteilte kurz nach der Tat in Henstedt-Ulzburg Flyer, die ein Verbot „der Antifa“ forderten. Vor dem Hintergrund, dass sich die „Junge Alternative“ in Schleswig-Holstein in letzter Zeit damit brüstet Kampfsporttrainings mit offen faschistischen Gruppen durchzuführen, bleibt die Gefahr von weiteren Angriffen auf alle Menschen, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, bestehen.

Damit Betroffene solcher Angriffe mit den Folgen nicht alleine bleiben, braucht es solidarische Unterstützung, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit des Bündnisses „Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den kompletten Prozess begleitet, mit unzähligen Kundgebungen auf die politische Dimension der Tat hingewiesen hat und den Betroffenen Raum bot ihre Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Felix Fischer erklärte dazu: „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen. Wir danken allen Unterstützer*innen und den engagierten Nebenklagevertreter*innen für ihren Einsatz.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

21.12.2023
Pressemitteilung ZEBRA e.V.

Urteilsverkündung zur rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg

Nach über drei Jahren kam es heute zur Urteilsverkündung im Fall der rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg. Am 17. Oktober 2020 fuhr ein 19-Jähriger, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in der AfD war, am Rande einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit einem Pick-Up in Antifaschist*innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Von einer Parkbucht aus steuerte Melvin S. das schwere Gefährt auf den Bürgersteig und fuhr gezielt in die Demonstrierenden. Der Angriff wurde von der Polizei in einer ersten Pressemitteilung noch als Verkehrsunfall verharmlost. Nachdem sich Betroffene öffentlich zu Wort gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Seit Juli wurde der Fall vor dem Landgericht Kiel wegen versuchtem Totschlag verhandelt.

Heute wurde der Angeklagte Melvin S. wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Zudem muss er Schmerzensgeld an alle Betroffenen zahlen.

In der Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass die Tat „kein rechter Angriff aus Hass oder Wut auf den politischen Gegner“ gewesen sei, sondern der Tatentschluss aus einer Notwehrhandlung heraus entstanden sei, da ein Begleiter des Täters von einer unbekannten Person geschlagen worden sei. Die Fahrt mit dem Auto auf dem Bürgersteig sei dafür allerdings das falsche Mittel gewesen. Dabei habe S. zunächst zwei Betroffene mit dem Auto getroffen, sei dann ohne zu bremsen weitergefahren und hätte dann eine weitere Betroffene getroffen. Ein vierter Betroffener habe sich nur durch einen Sprung retten können.

Spätestens, als der Täter nach dem ersten Aufprall ohne zu bremsen weiter auf dem Bürgersteig fuhr, in Kombination mit den vorherigen Aussagen des Täters über seinen Hass auf Linke, ergibt sich ein Gesamtbild, dass die Kammer meiner Meinung nach unzureichend bewertet hat“, erklärte Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage, in Bezug auf den Tatvorwurf und die mögliche Tatmotivation. Dass die besondere Brutalität nicht in die Bewertung der Tat als rechter Angriff einfloss, ist aus Sicht von ZEBRA ebenfalls zu kritisieren.

Das Gericht hat zwar u.a. anhand der AfD-Mitgliedschaft des Täters ein zum Tatzeitpunkt rechtes Weltbild festgestellt, ein mögliches rechtes Tatmotiv, das sich strafverschärfend ausgewirkt hätte, sah das Gericht nicht als vollends bewiesen an. Dabei hatte sich der Täter neben seiner Parteimitgliedschaft bereits vor der Tat in einem Chat über seinen Hass gegen Linke ausgelassen.

Zudem führten Melvin S. und seine Begleiter Aufkleber mit rechten Inhalten und eine Flasche sogenannter „Reichsbrause“ mit sich, die im Onlineshop des bundesweit bekannten Neonazis Tommy Frenck zu erwerben ist, und lies sich am Rande der antifaschistischen Kundgebung damit fotografieren. Auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Uniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege für die extrem rechte Ideologie des Täters zeigen sich die Schwierigkeiten in der Anwendung des §46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Was muss noch erwiesen sein, damit sich die politische Dimension mit §46 auch im Kontext Strafzumessung ausdrücken kann?“, kritisiert Felix Fischer, Berater bei ZEBRA.

Auf die vom Täter und seinen Begleitern behauptete Notwehrsituation ging das Gericht insoweit ein, dass es eine Situation gegeben habe, die den Täter veranlasst habe mit dem Auto loszufahren. Zu dieser Strategie hatte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen in der Nebenklage vertrat, schon in seinem Plädoyer gesagt: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen.“ Ein Phänomen, dass bei rechten Angriffen immer wieder zu beobachten ist. Unter dem Vorwand einer stetigen, vermeintlichen Bedrohung von Antifaschist*innen oder einer imaginierten „Überfremdung“ sind Rechte dauerhaft in einer Situation, in der sie ihre Gewaltanwendung als vermeintliche Notwehrhandlungen begründen. Die „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind sei auch ein Beleg für einen Tötungsvorsatz beim Angeklagten, erklärte auch Rechtsanwalt Björn Elberling bereits in seinem Plädoyer: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.

Mit dem heutigen Urteil ist zwar die juristische Aufarbeitung der Autoattacke möglicherweise vorerst beendet, die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen wirken aber weiter. „Der Angriff mit dem Pick-Up kam aus dem Nichts. Er riss mich hinein in ein schmerzdominiertes Leben, von denen der Schmerz mittlerweile meinen Tagesablauf bestimmt und nicht mehr das Schöne“, erklärte einer der Betroffenen. Der rechte Angriff von Henstedt-Ulzburg, der durchaus hätte tödlich enden können, stellte für die Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr Leben dar. Teilweise bestehen bis heute Einschränkungen im alltäglichen Leben und noch ist unklar, ob die vorhandenen psychischen, physischen und materiellen Folgen entschädigt werden. Der Kampf der Betroffenen um Gerechtigkeit und Bewältigung ist daher noch lange nicht vorbei. „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess endet heute, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen“ eine Betroffene dazu.

Der Angriff von Henstedt-Ulzburg hat gezeigt, dass die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur*innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist*innen und von Rassismus betroffene Personen nicht ohne Wirkung bleibt und sich potentielle Täter*innen zu Angriffen berufen fühlen, die tödlich enden können. Die AfD versucht ihre eigene Rolle in der Autoattacke bis heute kleinzureden. Doch nicht nur war der Täter zum Tatzeitpunkt Mitglied der Partei, kurz nach der Tat traf er sich mit dem damaligen Kreisparteivorsitzenden Julian Flak, der ihm einen Austritt aus der AfD nahelegte, um Schaden von der Partei abzuwenden. Gleichzeitig versuchte Flak sich in Täter-Opfer-Umkehr und verteilte kurz nach der Tat in Henstedt-Ulzburg Flyer, die ein Verbot „der Antifa“ forderten. Vor dem Hintergrund, dass sich die „Junge Alternative“ in Schleswig-Holstein in letzter Zeit damit brüstet Kampfsporttrainings mit offen faschistischen Gruppen durchzuführen, bleibt die Gefahr von weiteren Angriffen auf alle Menschen, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, bestehen.

Damit Betroffene solcher Angriffe mit den Folgen nicht alleine bleiben, braucht es solidarische Unterstützung, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit des Bündnisses „Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den kompletten Prozess begleitet, mit unzähligen Kundgebungen auf die politische Dimension der Tat hingewiesen hat und den Betroffenen Raum bot ihre Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Felix Fischer erklärte dazu: „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen. Wir danken allen Unterstützer*innen und den engagierten Nebenklagevertreter*innen für ihren Einsatz.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

21.12.2023
Pressemitteilung ZEBRA e.V.

Urteilsverkündung zur rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg

Nach über drei Jahren kam es heute zur Urteilsverkündung im Fall der rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg. Am 17. Oktober 2020 fuhr ein 19-Jähriger, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in der AfD war, am Rande einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit einem Pick-Up in Antifaschist*innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Von einer Parkbucht aus steuerte Melvin S. das schwere Gefährt auf den Bürgersteig und fuhr gezielt in die Demonstrierenden. Der Angriff wurde von der Polizei in einer ersten Pressemitteilung noch als Verkehrsunfall verharmlost. Nachdem sich Betroffene öffentlich zu Wort gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Seit Juli wurde der Fall vor dem Landgericht Kiel wegen versuchtem Totschlag verhandelt.

Heute wurde der Angeklagte Melvin S. wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Zudem muss er Schmerzensgeld an alle Betroffenen zahlen.

In der Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass die Tat „kein rechter Angriff aus Hass oder Wut auf den politischen Gegner“ gewesen sei, sondern der Tatentschluss aus einer Notwehrhandlung heraus entstanden sei, da ein Begleiter des Täters von einer unbekannten Person geschlagen worden sei. Die Fahrt mit dem Auto auf dem Bürgersteig sei dafür allerdings das falsche Mittel gewesen. Dabei habe S. zunächst zwei Betroffene mit dem Auto getroffen, sei dann ohne zu bremsen weitergefahren und hätte dann eine weitere Betroffene getroffen. Ein vierter Betroffener habe sich nur durch einen Sprung retten können.

Spätestens, als der Täter nach dem ersten Aufprall ohne zu bremsen weiter auf dem Bürgersteig fuhr, in Kombination mit den vorherigen Aussagen des Täters über seinen Hass auf Linke, ergibt sich ein Gesamtbild, dass die Kammer meiner Meinung nach unzureichend bewertet hat“, erklärte Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage, in Bezug auf den Tatvorwurf und die mögliche Tatmotivation. Dass die besondere Brutalität nicht in die Bewertung der Tat als rechter Angriff einfloss, ist aus Sicht von ZEBRA ebenfalls zu kritisieren.

Das Gericht hat zwar u.a. anhand der AfD-Mitgliedschaft des Täters ein zum Tatzeitpunkt rechtes Weltbild festgestellt, ein mögliches rechtes Tatmotiv, das sich strafverschärfend ausgewirkt hätte, sah das Gericht nicht als vollends bewiesen an. Dabei hatte sich der Täter neben seiner Parteimitgliedschaft bereits vor der Tat in einem Chat über seinen Hass gegen Linke ausgelassen.

Zudem führten Melvin S. und seine Begleiter Aufkleber mit rechten Inhalten und eine Flasche sogenannter „Reichsbrause“ mit sich, die im Onlineshop des bundesweit bekannten Neonazis Tommy Frenck zu erwerben ist, und lies sich am Rande der antifaschistischen Kundgebung damit fotografieren. Auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Uniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege für die extrem rechte Ideologie des Täters zeigen sich die Schwierigkeiten in der Anwendung des §46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Was muss noch erwiesen sein, damit sich die politische Dimension mit §46 auch im Kontext Strafzumessung ausdrücken kann?“, kritisiert Felix Fischer, Berater bei ZEBRA.

Auf die vom Täter und seinen Begleitern behauptete Notwehrsituation ging das Gericht insoweit ein, dass es eine Situation gegeben habe, die den Täter veranlasst habe mit dem Auto loszufahren. Zu dieser Strategie hatte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen in der Nebenklage vertrat, schon in seinem Plädoyer gesagt: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen.“ Ein Phänomen, dass bei rechten Angriffen immer wieder zu beobachten ist. Unter dem Vorwand einer stetigen, vermeintlichen Bedrohung von Antifaschist*innen oder einer imaginierten „Überfremdung“ sind Rechte dauerhaft in einer Situation, in der sie ihre Gewaltanwendung als vermeintliche Notwehrhandlungen begründen. Die „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind sei auch ein Beleg für einen Tötungsvorsatz beim Angeklagten, erklärte auch Rechtsanwalt Björn Elberling bereits in seinem Plädoyer: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.

Mit dem heutigen Urteil ist zwar die juristische Aufarbeitung der Autoattacke möglicherweise vorerst beendet, die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen wirken aber weiter. „Der Angriff mit dem Pick-Up kam aus dem Nichts. Er riss mich hinein in ein schmerzdominiertes Leben, von denen der Schmerz mittlerweile meinen Tagesablauf bestimmt und nicht mehr das Schöne“, erklärte einer der Betroffenen. Der rechte Angriff von Henstedt-Ulzburg, der durchaus hätte tödlich enden können, stellte für die Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr Leben dar. Teilweise bestehen bis heute Einschränkungen im alltäglichen Leben und noch ist unklar, ob die vorhandenen psychischen, physischen und materiellen Folgen entschädigt werden. Der Kampf der Betroffenen um Gerechtigkeit und Bewältigung ist daher noch lange nicht vorbei. „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess endet heute, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen“ eine Betroffene dazu.

Der Angriff von Henstedt-Ulzburg hat gezeigt, dass die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur*innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist*innen und von Rassismus betroffene Personen nicht ohne Wirkung bleibt und sich potentielle Täter*innen zu Angriffen berufen fühlen, die tödlich enden können. Die AfD versucht ihre eigene Rolle in der Autoattacke bis heute kleinzureden. Doch nicht nur war der Täter zum Tatzeitpunkt Mitglied der Partei, kurz nach der Tat traf er sich mit dem damaligen Kreisparteivorsitzenden Julian Flak, der ihm einen Austritt aus der AfD nahelegte, um Schaden von der Partei abzuwenden. Gleichzeitig versuchte Flak sich in Täter-Opfer-Umkehr und verteilte kurz nach der Tat in Henstedt-Ulzburg Flyer, die ein Verbot „der Antifa“ forderten. Vor dem Hintergrund, dass sich die „Junge Alternative“ in Schleswig-Holstein in letzter Zeit damit brüstet Kampfsporttrainings mit offen faschistischen Gruppen durchzuführen, bleibt die Gefahr von weiteren Angriffen auf alle Menschen, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, bestehen.

Damit Betroffene solcher Angriffe mit den Folgen nicht alleine bleiben, braucht es solidarische Unterstützung, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit des Bündnisses „Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den kompletten Prozess begleitet, mit unzähligen Kundgebungen auf die politische Dimension der Tat hingewiesen hat und den Betroffenen Raum bot ihre Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Felix Fischer erklärte dazu: „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen. Wir danken allen Unterstützer*innen und den engagierten Nebenklagevertreter*innen für ihren Einsatz.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

LIDA-SH Pressemitteilung: Unabhängige Dokumentationsstelle veröffentlicht Zahlen zu dokumentierten antisemitischen Vorfällen für das Jahr 2024

Massiver Anstieg bei antisemitischen Vorfällen: Unabhängige Dokumentationsstelle veröffentlicht Zahlen zu dokumentierten antisemitischen Vorfällen für das Jahr 2024 

Die landesweite Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus in Schleswig-Holstein (LIDA-SH) veröffentlicht im Rahmen der Landespressekonferenz am 15.05.2025 ihre Erkenntnisse zu den für das Jahr 2024 dokumentierten antisemitischen Vorfällen. LIDA-SH verzeichnet dabei mit 588 (23: 120) Vorfällen einen noch nie dagewesenen Höchststand dokumentierter Fälle seit Gründung von LIDA-SH.  

Im Schnitt dokumentierte LIDA-SH mehr als elf Vorfälle pro Woche. Auch in Schleswig-Holstein ist Antisemitismus ein komplexes Phänomen, das sich in unterschiedlicher Form und Intensität ausdrückt. 

Die Struktur und das Aufkommen der dokumentierten Fälle verweist weiterhin auf ein massives Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle: Es muss davon ausgegangen werden, dass diese Dokumentation nur einen Bruchteil der Fälle abbildet. Das hohe Aufkommen von Antisemitismus in verschiedensten Formen, auch in Gestalt des gehäuft auftretenden israelbezogenen Antisemitismus, erschwert insbesondere Jüdinnen und Juden in Schleswig-Holstein die Partizipation am öffentlichen Leben. 

Auch wenn sich der Großteil der dokumentierten Fälle weiterhin unterhalb der Angriffsschwelle befindet, steigen die Fälle, bei denen von einem erhöhten Gefährdungspotential auszugehen ist, erneut drastisch. Solche Vorfälle passieren dabei nicht im luftleeren Raum – sondern sind vielmehr als Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Klimas zu verstehen, in denen gezielte Sachbeschädigungen, Bedrohung und körperliche Angriffe überhaupt erst möglich werden. 

Wie sich bereits im Jahr 2023 abzeichnete, wird das persönliche Umfeld von betroffenen Personen zunehmend unsicherer. Insbesondere geschützte Orte werden immer häufiger zum Ziel antisemitischer Handlungen.

Im Vergleich zum Vorjahr wurden Jüdinnen und Juden, sowie Orte des jüdischen Lebens, öfter mit antisemitischen Vorfällen konfrontiert. Besonders häufig finden diese im öffentlichen Raum, meist auf der Straße statt – aber auch im persönlichen Nahraum, wie dem eigenen Wohnumfeld, werden Jüdinnen und Juden vermehrt mit Antisemitismus konfrontiert. Diese Vorfälle haben im Besonderen das Potential, das Sicherheitsgefühl der Betroffenen massiv zu beeinträchtigen. Daneben ist Antisemitismus eine alltagsprägende Erfahrung für Jüdinnen und Juden in Schleswig-Holstein, dessen Omnipräsenz ihnen zunehmend die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert.

Da es bei LIDA-SH aktuell technische Probleme gibt und daher Wartungsarbeiten auf der Homepage stattfinden, ist die Auswertung vorübergehend hier bei ZEBRA als PDF einsehbar. Das bedeutet auch, dass Teile der Auswertung, insbesondere die Erläuterungen, wie üblich nicht mit abgebildet sind und erst wieder verfügbar sein werden, wenn die Homepage von LIDA-SH wieder in Betrieb ist.

Hier finden Sie die Pressemitteilung als Pdf.
Hier finden Sie die Auswertung für das Jahr 2024 als Pdf.

Drei Stellenausschreibungen bei ZEBRA

Du bist auf der Suche nach einer sinnstiftenden Aufgabe im Beruf, die dir Flexibilität für Studium, Familie, Freund*innen oder andere Tätigkeiten ermöglicht? Bei ZEBRA berätst und unterstützt du Betroffene im Umgang mit rassistischen, antisemitischen und anderen rechten Angriffen. Dein neuer Arbeitgeber Zebra e.V. ist ein kleiner zivilgesellschaftlicher Verein mit zehn Jahren Erfahrung im Bereich der Beratung und Unterstützung sowie Dokumentation von rechter Gewalt und Antisemitismus und trägt drei öffentlich geförderte Projekte.

Uns ist eine professionelle Haltung in hierarchiearmer, kollegialer und solidarischer Atmosphäre und die Überzeugung zu progressiver politischer Sozialer Arbeit besonders wichtig.

Wir möchten in unserem Team möglichst vielfältige Perspektiven und Erfahrungshintergründe einbinden und ermutigen daher insbesondere Bewerbungen von Schwarzen Menschen, People of Colour, Jüdinnen*Juden, Menschen mit eigener oder familiärer Migrations- und/oder Fluchtgeschichte, Roma* und Sinti*, Muslim*innen, LSBTIQIA+, Menschen mit Behinderungen und lebensälteren Kolleg*innen. Leider ist der Arbeitsplatz nicht vollständig barrierefrei.

Aktuell suchen wir für drei unterschiedliche Stellen neue Mitarbeiter*innen. Zu den Stellenausschreibungen.

Möge die Erde dir leicht sein, Niels!

Unerwartet starb unser Kollege und Freund Niels-Björn Raffel am 03. Januar 2025. In tiefer Trauer denken wir an Niels als einen geschätzten Teil unseres Teams, der immer daran interessiert war das Beste für Betroffene zu ermöglichen. Seine Klarheit und entschlossene Solidarität sowohl mit Klient*innen als auch Kolleg*innen bleiben uns ein Vorbild. Seinen besonderen Humor werden wir in liebevoller Erinnerung behalten.

Unser tiefes Mitgefühl gehört den Angehörigen – wir sind dankbar, dass wir uns gemeinsam mit seiner Familie und Freund*innen von Niels am 17.01.2025 verabschieden durften.

Premiere der Webdokumentation „gegen uns: Der tödliche Brandanschlagauf Geflüchtete am 18. Januar 1996 in Lübeck“ beim fluctoplasma-Festival in Hamburg am 27.10.2024

Die gesamte Webdokumentation können Sie hier ansehen und die Pressemitteilung finden Sie hier als PDF.

Wir wollen nicht mehr warten. Niemand von uns, die wir diesen Anschlag überlebt haben.“ (Esperança Bunga, Überlebende und Hinterbliebene)

Mord verjährt nicht. Die Bundesanwaltschaft muss endlich die Ermittlungen gegen vier Neonazis übernehmen“, fordern Opferberatungsstellen.

Kiel/Berlin, den 23.10.2024

Wann und wo: Sonntag, den 27. Oktober 2024 von 15:30 – 17Uhr im MARKK, Rothenbaumchaussee 64, 20148 Hamburg beim fluctoplasma-Festival.

Zehn Menschen – sieben Kinder und drei Erwachsene – starben in der Nacht zum 18. Januar 1996 bei einem Brandanschlag auf Geflüchtete in Lübeck. 38 Bewohner:innen des Hauses – Asylsuchende und Geflüchtete – überlebten teilweise schwer verletzt. Die Täter sind bis heute straffrei. „Wir wollen nicht mehr warten. Niemand von uns, die wir diesen Anschlag überlebt haben“, sagtEsperança Bunga, die den Brandanschlag als dreijähriges Kleinkind überlebte. Ihre Mutter, Monique Maiamba Bunga (27) und ihre ältere Schwester Nsuzana Bunga (7) starben, als sie in Todesangst aus dem dritten Stock des brennenden Hauses sprangen.

Esperança Bunga und weitere Überlebende und Angehörige sowie die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke und Engagierte vom Lübecker Flüchtlingsforum und der Initiative Hafenstraße ‘96 sprechen in der Webdokumentation gegenuns.de und bei der Premiere am 27. Oktober 2024 über ihren seit fast drei Jahrzehnte andauernden Kampf um Aufklärung und gegen Straflosigkeit.

Denn vieles deutet darauf hin, dass einer der folgenschwersten rassistischen Brandanschläge der 1990er Jahre von vier Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern verübt wurde. Doch die Staatsanwaltschaft Lübeck verfolgte die Spuren nicht konsequent und beschuldigte stattdessen einen der Überlebenden als vermeintlichen Täter. Nach dessen rechtskräftigen Freispruch am 2. November 1999 stellte die Staatsanwaltschaft Lübeck auch das Ermittlungsverfahren gegen die vier Neonazis ein – obwohl einer der Neonazis sich mehrfach gegenüber Dritten, einem JVA-Abteilungsleiter und Journalisten – zur Tat bekannt hatte.

Es ist höchste Zeit, dass die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren in diesem Fall eines der tödlichsten Brandanschläge gegen Geflüchtete in den 1990er Jahren übernimmt und die Straflosigkeit endlich beendet wird“, betonen der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie zebra e.V. – der Trägerverein der Beratungsstelle für Betroffene rechter Angriffe in Schleswig-Holstein anlässlich des 25. Jahrestags der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die vier Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern.

Mord verjährt nicht“, betont Rechtsanwalt Björn Elberling, Vorstandsvorsitzender von zebra e.V. „Seit dem erfolgreichen Prozess mehr als dreißig Jahre nach einem tödlichen Neonazi-Brandanschlag in Saarlouis 1991 wissen wir: Wenn Zeug:innen, Mitwisser:innen und Ermittlungsbehörden ihre Gleichgültigkeit ablegen, ist auch nach drei Jahrzehnten eine konsequente Strafverfolgung möglich.“

Die Episode „Der tödliche Brandanschlag auf Geflüchtete in Lübeck 1996“ wird am 27.10.2024 um 15.30 Uhr im Rahmen des Fluctoplasma-Festivals in Hamburg vorgestellt. Dazu laden wir Sie herzlich ein. Tickets sind auf der Seite des Festivals erhältlich. Die Veranstaltung kann auch hier im Livestream verfolgt werden.

Auf Wunsch übersenden wir Pressevertreter:innen vorab einen Link zur Webdokumentation: Bitte senden Sie uns hierfür eine Mail an: info@verband-brg.de.

Über die Webdokumentation gegenuns.de

Im Mittelpunkt der Webdokumentation „Gegen uns.“, die im Jahr 2021 mit dem Grimme Online Award in der Kategorie Information ausgezeichnet wurde, stehen die Lebensgeschichten von Menschen, die aus rassistischen, antisemitischen und anderen rechten Motiven angegriffen wurden. In inzwischen acht Episoden werden in Wort, Bild und Video eindrücklich die Perspektiven der Betroffenen geschildert und die Taten eingeordnet. Sie machen sowohl die Auswirkungen deutlich, die die Gewalt auf ihr Leben hatte, als auch die gesellschaftlichen Folgen von Rassismus, Antisemitismus und rechter Gewalt.

„Die Webdokumentation „Gegen uns.“ holt auf eindrucksvolle Weise die Lebensgeschichten von Opfern von Rassismus und rechtsextremistischer Gewalt aus der statistischen Anonymität. Nicht nur um die Tat an sich geht es bei den tiefgehenden und deshalb herausragenden Recherchen; auch der gesellschaftliche Kontext und die Langzeitwirkungen für Betroffene und ihr Umfeld werden mit multimedialen Mitteln von allen Seiten beleuchtet.

Im Zentrum der Geschichten stehen berührende Videos mit starken Interviews, in denen sich Betroffene und Augenzeugen an die Taten, aber auch an die Folgen erinnern. Die einzelnen Taten sowie ihre Vor- und Nachgeschichten verbinden sich so beim Anschauen der einzelnen Episoden immer mehr zu dem, was sie sind: ein Angriff auf das Gemeinwesen. „Gegen uns.“ trifft mitten ins Herz.“ (aus der Begründung der Grimme Award Jury).

Gegenuns.de ist ein Kooperationsprojekt des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und der RAA Sachsen e.V. mit der Regisseurin Julia Oelkers. Die Episode „Der tödliche Brandanschlag auf Geflüchtete in Lübeck 1996“ entstand in Kooperation mit zebra e.V. – dem Zentrum für Betroffene rechter Gewalt in Schleswig-Holstein.

gegenuns.de

 

Zivilgesellschaft unter Druck!

Gemeinsame Pressemitteilung von LIDA-SH, RBT SH, ZEBRA

Die Pressemitteilung finden Sie hier als PDF.

In ganz Schleswig-Holstein nimmt der Druck auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen weiter zu. So stellen sowohl die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe ZEBRA, die Dokumentationsstelle für Antisemitismus LIDA-SH, als auch die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus, einen alarmierenden Anstieg an extrem rechten Vorfällen und Beratungsanfragen von Engagierten und Betroffenen fest.

Bereits Mitte August erreichte die Beratungsstelle ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe die Anzahl der Beratungsfälle des gesamten Jahres 2023. Seit Jahresbeginn war ZEBRA in 86 Fällen tätig und hat 128 Betroffene (darunter 13 Kinder und Jugendliche) beraten, was einen deutlichen Anstieg an Betroffenen darstellt. Wie in den Vorjahren sind die meisten Taten Körperverletzungsdelikte, Rassismus bleibt das häufigste Tatmotiv. Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe sind Botschaftstaten, deren Wirkung über die direkt Betroffenen hinausreicht und für Besorgnis bei vielen weiteren Menschen der Betroffenengruppen sorgt. Die hohe Fallauslastung stellt auch für die Beratungsstelle eine enorme Herausforderung dar.

Felix Fischer, Berater bei ZEBRA, nimmt zudem eine erschreckende Entwicklung wahr: „In den letzten Monaten schildern uns Betroffene rechter Angriffe zunehmend eine Bezugnahme der Täter*innen auf die AfD. Im Zuge von rassistischen Angriffen fielen Aussagen wie ‚Wenn die AfD kommt, seid ihr weg‘ und auch die Enthüllungen der CORRECTIV-Recherche lösen bei vielen Betroffene Ängste und Wut aus.“

Wie sich das Erstarken der AfD auf rechte Angriffe in Schleswig-Holstein auswirkt, zeigt ein Fall aus dem Juni. Ein Flüchtlingsbeauftragter erhielt am Abend der Europawahl, bei der die AfD die zweitmeisten Stimmen erhalten hatte, zwei anonyme Drohanrufe. In diesen wurde er mit den Worten „Wir sind so stark geworden, dass wir solche Volksverräter wie dich jetzt kriegen werden“ und „Wir werden dich jetzt jagen gehen“ bedroht.

Der Betroffene schlug daraufhin ein Treffen vor, woraufhin die Stimme antwortete: „So ein Treffen möchtest Du nicht erleben”. Bereits zuvor hatte der Flüchtlingsbeauftragte auf Grund seiner Arbeit regelmäßig beleidigende Mails erhalten.

Die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein haben den AWO Landesverband und die Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e.V. (RBT SH) als Träger. Sie beraten und stärken Personen, Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen im Umgang mit Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die RBTs SH stellen im ersten Halbjahr 2024 eine Verdoppelung von Anfragen fest. Dabei fällt insbesondere auf, dass besonders die Fälle drastisch zugenommen haben, in denen es um geschlossene, rechtsextreme Weltbilder, z.B. im Kontext Schule, geht. Die Berater*innen der RBT SH konstatieren: „Die Zustimmung zur AfD und menschenverachtenden, antidemokratischen Positionen nimmt angesichts weitreichender Einbindung der Partei in rechtsextreme Strukturen weiter zu. Zivilgesellschaftlich engagierte Personen und von ihnen ausgehende Initiativen sind lokal einem zunehmend verunsichernden und bedrohlichen Klima ausgesetzt. Auch im Kontext Schule zeigt sich, dass klar rechtsextreme Äußerungen immer häufiger auftreten und mitunter unwidersprochen im Raum stehen“.

Auch die Dokumentationsstelle LIDA-SH muss zum Halbjahr einen absoluten Höchststand von Meldungen antisemitischer Vorfälle verzeichnen. Im ersten Halbjahr gingen bei LIDA-SH durchschnittlich drei Mal so viele Vorfälle ein, wie im Vorjahreszeitraum. Dazu erklärt Joshua Vogel, Leiter von LIDA-SH: „Die Reaktionen auf den Terror islamistischer Gruppen wie der Hamas seit dem 07.10.2023 und den sich anschließenden Krieg bestimmen weiterhin das von uns beobachtete Vorfallsgeschehen. Wir haben es hier mit globalen Kampagnen in den sozialen Medien zu tun, die verstärkt von Protestgeschehen vor Ort Möglichkeitsräume für antisemitische Artikulationen, insbesondere Hass auf Israel als jüdischen Staat schaffen.“ Vor allem für die jüdischen Communities bedeute dies ein zunehmendes Unsicherheitsgefühl. In diversen Vernetzungen zeigt sich, dass der Ukraine-Krieg die jüdischen Communities enorm beschäftigt. Viele Jüdinnen und Juden haben familiäre Beziehungen in die Ukraine. Seit Oktober bangen viele zudem um Angehörige in Israel. Doch nicht nur die Sorge um die Verwandten in den Kriegsgebieten belasten viele Jüdinnen und Juden.

„Das Wissen, dass es in dieser Gesellschaft einen nicht irrelevanten Teil an Menschen gibt, die den Terror der Hamas verherrlichen oder bzw. und die Deportationspläne der AfD begrüßen, sorgt für eine Art Grundangst, die die Bereitschaft vieler Mitglieder der Gemeinden als Jüdinnen und Juden am öffentlichen Leben teilzuhaben quasi auf null reduziert.“

Mit einer Entspannung der Situation ist in allen Beratungs- und Dokumentationsstellen in den nächsten Monaten nicht zu rechnen. Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und den zu befürchtenden hohen Ergebnissen der AfD ist damit zu rechnen, dass sich Rechte auch in Schleswig-Holstein weiter bestärkt fühlen, ihre menschenverachtende Ideologie weiter zu verbreiten und gewaltsam durchzusetzen.

Für Rückfragen zu dieser Pressemitteilung wenden Sie sich bitte an Felix Fischer (0176/70938206, fischer@zebraev.de) oder Lasse von Bargen (0431/26068-73, vonbargen@akjs-sh.de).

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA, sowie des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

LIDA-SH wird im Rahmen des Landesprogramms zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung gefördert. Das Programm wird über das Landesdemokratiezentrum und den Landespräventionsrat koordiniert und umgesetzt.

ZEBRA und die RBT SH werden von dem Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ und dem Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung über das Landesdemokratiezentrum beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein gefördert.

Erweiterte Qualitätsstandards für professionelle Beratung

Gemeinsam mit anderen Mitgliedern des VBRG hat ZEBRA die Qualitätsstandards für die Beratung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt überarbeitet.

Die erste Fassung liegt mittlerweile 10 Jahre zurück. In diesen 10 Jahren konnten die Beratungsstellen weitere Erfahrungen sammeln und die Arbeitsgrundlage professionalisieren und entsprechend anpassen. „Seit der Veröffentlichung der ersten Ausgabe haben die Beratungsstellen in Ost- und Westdeutschland Tausende Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie Angehörige, Freund*innen der Betroffenen und Zeug*innen solidarisch und professionell begleitet und unterstützt.“ (VBRG 2024: 3)

Insbesondere Schlüsselprozesse in der alltäglichen Arbeit wurden in diesem Zuge kontinuierlich erweitert: „Dieses Instrumentarium eignet sich, um die Auswirkungen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt auf ihren unterschiedlichen Ebenen jeweils sinnvoll zu adressieren.“ (VBRG 2024: 16) Der Kernarbeitsbereich der Beratung wurde um die Onlineberatung ergänzt – mit dem Ziel den individuellen Bedarfen der Betroffenen möglichst niedrigschwellig zu begegnen. Auch die Standards für spezielle Beratungskontexte, wie z.B. die Beratung nach Tötungsdelikten und rechtsterroristischen Attentaten und Anschlägen, wurden weiter ausgeführt.

Für die Beratungsnehmenden dienen diese Standards auch dazu, dass sie die Arbeit der Beratungsstellen nachvollziehen können. Dies schafft Sicherheit auf beiden Seiten: Die Berater*innen haben Richtlinien, die sie nach außen hin vertreten und den Betroffenen ist klar, was sie bei einer Beratung einfordern und erwarten können. „Dabei sind die beschriebenen Standards als handlungsleitend zu verstehen: Alle Beratungsstellen sind verpflichtet, sich für eine Umsetzung dieser Qualitätsstandards einzusetzen. Eine adäquate, kontinuierliche Finanzierung statt der andauernden projekthaften Förderung ist im Einklang mit der EU-Opferschutzrichtlinie die notwendige Voraussetzung für die Arbeit der Opferberatungsstellen. Dazu gehört, dass die staatlichen Geldgeber in Anbetracht der anhaltenden Zuspitzung von rechten, rassistischen und antisemitischen Diskursen und Realitäten entsprechende finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen, sodass allen fachspezifischen Gewaltopferberatungsstellen die Umsetzung der Qualitätsstandards – auch unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Evaluation des Deutschen Jugendinstituts – langfristig möglich ist.“ (VBRG 2024: 4).

Die Qualitätsstandards sind sowohl auf der Seite des VBRG (https://verband-brg.de/) als auch unter Materialien auf dieser Website zu finden.

Aktuelles
Zivilgesellschaft unter Druck!

Gemeinsame Pressemitteilung von LIDA-SH, RBT SH, ZEBRA Die Pressemitteilung finden Sie hier als PDF. In ganz Schleswig-Holstein nimmt der Druck auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen weiter zu.

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